Rezension

Ein abgrundtiefer Spalt im Schönen-Schein-Gefüge

Scherbentanz -

Scherbentanz
von Chris Kraus

Bewertet mit 5 Sternen

Schande über mein Haupt, aber Kraus war mir bisher weder als Autor, noch als Regisseur bekannt. Vorsichtig tastete ich mich also an diese 220 Seiten dünne Geschichte über einen an Leukämie erkrankten Exzentriker, beziehungsweise Aussteiger und Sohn aus reichem Hause an. Seine leibliche Mutter, längst geschieden und in die alkoholgetränkten Tiefen von Depression und Schizophrenie abgestiegen, scheint der einzige Lichtblick für eine Stammzellenspende zu sein. Aber Jesko zögert. Zuviel hat die Mutter in seiner Kindheit nach der Scheidung von seinem Vater zerstört. Wärend Jesko im Modedesign Abstand gewann, hat sich sein Bruder für Aufstieg und Thronfolge im väterlichen Betrieb entschieden, mit all seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen und Bewahrung des Scheins.
Und der Schein trügt! Denn nichts scheint hinter den Kulissen des herrschaftlichen Anwesens zu stimmen und der Showdown der Zusammenkunft aller Familienmitglieder zwecks Rettung von Jeskos Leben, erweckt alle Kellerleichen.

Sowohl die Mutter, als auch Jesko werden unter einem Vorwand zur Villa gelockt. Sie sollen sich versöhnen und hoffentlich gesunden helfen. Die Freundin des Familienerben Armin(Jeskos Bruder), wird zur privaten Krankenschwester der beiden umfunktioniert, obwohl sie eigentlich schon längst auf der Abschussliste steht, da sie für diese Familie nicht gesellschaftsfähig genug ist. Dieses Außenseitertrio wuppt dann aber auch die Geschichte aus dem Gartenhaus des Grundstücks heraus, lässt alte Erinnerungen gründlich aufkochen und gegen den patriarchischen Widerstand den wirklichen Retter Jeskos aufspüren.

Das Buch gewinnt durch seine ungewöhnliche, aber zielsichere Wortwahl, die der eigentlich tragischen Familiengeschichte eine fast schon satirische, auf jeden Fall aber ironische Form verleiht. Die Leichtigkeit der bildhaften Vergleiche verleiten zum Lachen, die fehlenden Längen lassen das Bild der dysfunktionellen Familienstruktur umso krasser hervortreten. Das Ende fordert Opfer, findet Überlebende und lässt ein Trümmerfeld als Statement zurück.

Einfach grandios und subjektiv das Beste an dem Buch aber ist das Nachwort, in dem Kraus in Begleitung von Volker Schlöndorff vom Zusammentreffen mit Günter Grass erzählt. Aus Kraus gescheiterter Lebensaufgabe wurde schließlich die Geburtsstunde des Scherbentanzes. Kraus eigene Syntax bekommt hier ihre ganz besonderen Wiedererkennungswert.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. Dezember 2020 um 17:52

ich hab echt fast nix verstanden - aber es war ein grandioser Emsspaß. Das ist schon was.

Emswashed kommentierte am 21. Dezember 2020 um 10:07

"Zumindest habe ich nicht gespoilert", gluckst die Ems mit gefährlichen Unterströmungen. ;)