Rezension

außergewöhnliche Thrillerkost

Der zweite Schöpfer - Michael Marshall

Der zweite Schöpfer
von Michael Marshall

Bewertet mit 4 Sternen

Ein brutales Massaker in einem Schnellimbiss kostet 68 Menschen das Leben.

Jahre später kehrt der ehemalige CIA-Agent Ward Hopkins in seine Heimatstadt Dyersburg/Montana zurück. Der Anlass ist ein trauriger, denn seine Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben. Hinterlassen haben sie ihm das Haus und den Erlös aus dem Verkauf der väterlichen Firma aber auch eine versteckte, handgeschriebene Botschaft: »Ward, wir sind nicht tot.« Völlig verstört begibt sich Ward auf Spurensuche, entdeckt eine geheimnisvolle Videokassette mit Aufnahmeschnipseln seiner Eltern in jungen Jahren. Sie offenbaren weitere Rätsel, die Wards Herkunft und Vergangenheit in Frage stellen. Gemeinsam mit seinem Kumpel und Ex-Kollegen Bobby verfolgt er die ominöse Spur weiter und stößt auf die mysteriösen »Straw Men«.

Zur gleichen Zeit verschwindet in Kalifornien ein junges Mädchen. FBI-Agentin Nina Bayram ermittelt in dem Fall und zieht inoffiziell ihren ehemaligen Kollegen und Liebhaber John Zandt hinzu. Und das aus gutem Grund, denn alles deutet darauf hin, dass es sich bei dem Entführer um den »Upright Man« handeln könnte und mit diesem hat Zandt noch eine ganz spezielle Rechnung offen.

Leseeindruck

»Solche Dinge passieren. Und sie sind genauso real wie Glück, Eheleben und das wohlige Gefühl wärmender Sonnenstrahlen auf dem Rücken. Sie vergehen aber sehr viel langsamer. Und oft wird das Leben danach nie mehr so sein wie zuvor.«

»Der zweite Schöpfer« (OT: The Straw Men) ist der erste Band der Straw Men-Trilogie, ist in sich zwar abgeschlossen aber gleichermaßen auch ein Auftakt für die Folgebände »Engel des Todes« und »Blutsbruder«. Der britische Autor Michael Marshall Smith (auf seinen Nachnamen verzichtet er hier) ist stets ein Garant für markante Schreibarbeit. Seine Werke sind niemals gewöhnlich, sein Schreibstil ist immer pointiert, durchsetzt mit feinem Humor (manchmal auch Sarkasmus) und wohl dosierter Gesellschaftskritik. Er ist ein exzellenter Beobachter, der es versteht, seine Plots intelligent zu konstruieren ohne dass sie dabei jedoch konstruiert wirken. Die auf den ersten Blick unabhängigen Handlungsstränge verwebt er auch hier am Ende meisterhaft. Die wenigen Fragen, die offen bleiben, bilden die Grundlage für Band 2.

Smith kreiert hier mehr als nur einen schnöden Verschwörungsthriller mit gescheiterten Ermittlern. Ja, sie alle tragen ihre Päckchen und ja, absolute Sympathieträger sind Zandt und Ward vielleicht auch (noch) nicht unbedingt aber es sind ungewöhnliche und interessante Charaktere, die man gern begleitet. Beide ecken an und haben ihre Gründe dafür. Dass sie nicht fehlerfrei und moralisch erhaben sind, macht sie zu »echten« Menschen. Zudem lässt Smith den Leser sehr tief in seine Charaktere blicken. Das kommt zuweilen einem Seelenstriptease gleich, wenn man es versteht zwischen den Zeilen zu lesen. Figurenzeichnung beherrscht der Autor mit Bravour.

Zwar gab es hier und da ein paar Längen im Mittelteil, über die ich aber gern hinwegsehe ob des insgesamt spannenden und unterhaltsamen Lesevergnügens. Mal mehr und mal weniger überraschende Wendungen, wechselnde Erzählperspektiven und Handlungsstränge sowie eine gleichermaßen überzeugende und erschreckende Grundidee bescherten mir etliche unterhaltsame Lesestunden.

Fazit

Kein 08/15-Thriller, der sich mit einer düsteren Stimmung, viel Spannung, interessanten Figuren und einem tollen Schreibstil von der Masse abzuheben weiß. Ich freue mich schon auf die Folgebände.