Rezension

Beängstigend und fesselnd

Der Erlkönig -

Der Erlkönig
von Jérôme Loubry

Bewertet mit 5 Sternen

Sandrine hat sich vor kurzem in der Normandie niedergelassen, als sie vom Tod ihrer Großmutter überrascht wird. Diese lebte, ganz abgeschieden von ihrer Familie, auf einer winzigen Insel unweit der Küste und Sandrine kannte sie eigentlich nur aus Erzählungen.. Trotzdem erklärt sie sich bereit, das Haus der Großmutter zu leeren um es zu übergeben. Auf der Insel stellt sie erstaunt fest, dass neben ihrer Großmutter noch eine handvoll weitere Einwohner hier leben. Alle ähnlich alt und gemeinsam haben sie sich beinahe autark organisiert. Alle loben ihre Großmutter in den höchsten Tönen, aber trotzdem findet Sandrine die Atmosphäre auf der Insel eher erschreckend und seltsam. Alle scheinen vor etwas Angst zu haben, aber warum bleiben dann alle auf der Insel? Was hat das alles mit diesem Sommerlager im Jahr 1949 zu tun? Wer war ihre Großmutter wirklich? Ein paar Tage später wandert Sandrine offenbar völlig verwirrt und blutverschmiert am Strand auf dem Festland herum …

Der Erlkönig ist in drei große Teile geteilt, die in sich aber immer wieder in verschiedene Zeitzonen unterteilt sind. Es geht um die Jahre 1949, 1986 und 2019 und die ersten Zeilen des Buches lassen darauf schließen, dass etwas geschehen ist, das für Psychologie-Studenten und ihre Professoren von höchstem Interesse ist und hier  “Sandrines Refugien” genannt wird. Mich hat diese etwas mysteriöse Einleitung auf jeden Fall schon mal neugierig gemacht …

1949

Das erste Kapitel beginnt 1949 an einem französischen Strand, mit einem Mädchen und seinem Hund und einer wirklich grausigen Entdeckung. Möwen machen sich über im Sand liegende Leichen oder Leichenteile her und auch dem Mädchen ist schnell klar, dass es hier um tote Kinder handelt - um viele tote Kinder, die das Meer angespült hat. Es ist nicht klar, wie alt dieses Mädchen mit dem Hund ist - aber ich schätze so etwas ist in keinem Alter leicht zu verkraften.

1989

Der nächste Zeitsprung führt ins Jahr 1989 zu Sandrine, die als Journalistin für eine kleine lokale Zeitung arbeitet. Sie soll einen Bericht über Kühe schreiben, die mit einem Hakenkreuz beschmiert  worden sind, recherchiert ein bisschen widerwillig und kehrt dann zurück in ihre Redaktion. Mit kleinen Bemerkungen, weckt der Autor immer wieder meine Neugier und erhält so auch meine volle Aufmerksamkeit. Aber gleichzeitig muss ich immer wieder feststellen, dass er mich auf eine völlig falsche Spur gelotst hat. Langsam aber sicher merke ich, dass diese etwas mysteriöse Atmosphäre mich immer mehr einfängt.

Details

Dieses Spiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart beherrscht Jérôme Loubry wirklich perfekt und ich liebe es. Keine Zeitperiode ist wichtiger oder ausführlicher als die anderen, weswegen ich auch keine als langweiliger oder uninteressanter empfinde. Die Dosierung ist perfekt ausgeklügelt und ich muss einfach immer weiter lesen. Viele Kleinigkeiten, die erst einmal unwichtig erscheinen, erlangen im weiteren Verlauf der Geschichte eine besondere Bedeutung und natürlich arbeitet mein Gedankenkarussell schon an einer Lösung des Ganzen. Was könnte mit Sandrine passiert sein? Was hat sie entdeckt und was hat sie so dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht?

Finale

Aber am Ende  ist dann alles ganz anders, als ich es mir gedacht habe. Nach und nach lässt Loubry alle Handlungsfäden zusammenlaufen und steuert so auf das Finale zu. Mir gehen derweil alle meine schönen Theorien baden, denn das Thema Psychiatrie hatte ich, trotz der Einleitung, dann gar nicht mehr so auf dem Schirm. Insofern überraschte mich das Ende auf jeden Fall, aber ich fühlte mich durchaus angenehm überrascht. Die Fragen, die das Finale für mich aufwirft, werden mich sicher noch eine ganze Weile begleiten.

Mein Fazit:

Der Erlkönig von Jérôme Loubry  ist eine spannende, mitreißende  Geschichte, die sich , meiner Meinung nach, virtuos zu einem brillanten Psychothriller entwickelte.