Rezension

Beklemmender Brief einer Tochter an ihren Vater

Und du bist nicht zurückgekommen - Marceline Loridan-Ivens, Judith Perrignon

Und du bist nicht zurückgekommen
von Marceline Loridan-Ivens Judith Perrignon

In diesem Brief wird die Liebe der Autorin zu ihrem Vater mit jedem Wort deutlich. Da die beiden als Einzige aus der Familie ins KZ kamen, fühlt sich Marceline besonders mit ihrem Vater verbunden, mit dem sie die beschwerliche Haft und den Transport ins KZ übersteht, wo sie dann letztendlich getrennt werden.

Marceline ist jung und gesund und wird von Dr. Mengele (Genau dem berühmten Dr. Mengele, der später für seine grausamen Experimente an Häftlingen in die Annalen eingehen wird.) als arbeitsfähig befunden, während viele andere Menschen von ihm direkt in den Tod geschickt werden. Tagtäglich muss sie mitansehen, wie Menschen jeden Alters vor Krankheit und Entkräftung sterben oder ins Gas gehen, und führt im Lager verschiedene Arbeiten aus. Sie arbeitet im Steinbruch, durchwühlt die Kleider der Toten nach Habseligkeiten oder hebt Gruben für die Massengräber aus. Dabei stumpft sie immer mehr ab und wird selbst zu einer lebenden Toten. Als sie dann befreit wird und nach Hause zurückkehrt zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern, kann sie sich nicht mehr richtig einfügen. Die, die nicht im KZ waren, wollen nicht mit den Traumatisierten darüber reden und zeigen nur wenig Verständnis.

Auch als Erwachsene findet sich Marceline schwierig in eine Rolle ein, weiß nicht genau, wo sie hingehört. Nach einer gescheiterten Ehe wird sie mit ihrem zweiten Mann, dem Dokumentarfilmer Joris Ivens, politisch aktiv und bleibt es bis ins hohe Alter. Sie reift zu einer starken, faszinierenden Persönlichkeit, doch die Erlebnisse im KZ und der tragische Verlust des Vaters bleiben auch Jahrzehnte später ein großer Schmerz, von dem sie sich niemals erholt.

Das Buch ist gut in einem Rutsch lesbar, da es mit knapp 110 Seiten recht dünn ist. Auch einen Brief würde man wohl an einem Stück lesen, wenngleich 110 Seiten für einen Brief wiederum sehr lang sind. Der Schreibstil ist relativ gehoben und wenig umgangssprachlich, d.h. es werden Zeitformen verwendet, die man in wörtlicher Rede wohl nicht benutzen würde und die dadurch etwas holprig zu lesen sind (z. B. "...dass man dich dann in Dachau gesehen habe, dass du dort habest bleiben sollen, aber dass du dich wieder in Marsch gesetzt habest,..."). Auch wirkte der Brief manchmal auf mich etwas verwirrt, was aber sicherlich daran liegt, dass die Autorin einerseits in Gedanken öfter hin- und herspringt und außerdem an einen Empfänger schreibt, der mehr Hintergrundwissen hat als der Leser.

Durch ihre schlimmen Erlebnisse wirkt die Autorin abgestumpft. Der Schreibstil ist dementsprechend auch etwas nüchtern. Sie schreibt, dass die falsche Person zur Familie zurückgekehrt ist, diese lieber den Vater als die Schwester zurückbekommen hätte. Sie ist nicht vorwurfsvoll und sagt dies ohne Wertung, ja ist sogar der Meinung, dass dies wirklich besser gewesen wäre für alle.

Dennoch sprechen die Grauen, die Marceline erlebt, auch ohne übertriebene Emotionalität und große Worte für sich. Besonders eindringlich bleibt mir Marcelines Beschreibung eines kleinen Mädchens in Erinnerung, das - sich an seiner Puppe festhaltend - auf dem Weg in die Gaskammern ist. Oder das junge Mädchen, das mit ihr eine Kiste tragen soll, entkräftet zusammenbricht und von einem Aufseher getötet wird, während Marceline, um sich selbst zu retten, einfach weitergeht. Später wird sie schreiben: "Ich habe sie getötet.". Es sind die kleinen Gräuel, die hier Gänsehaut verursachen.

Einerseits finde ich es gut, dass Marcelines Brief an den Vater hier alleine für sich steht. Andererseits ist es aber schade, dass manche Hintergründe und Zusammenhänge nicht wirklich erklärt werden. So habe ich nicht verstanden, wieso lediglich Marceline und ihr Vater ins KZ kamen, während ihre Mutter und ihre vier Geschwister verschont blieben. Es wird nur kurz erwähnt, dass sich Mutter und Schwester versteckten, als die Familie abgeholt wurde, und zumindest zwei Geschwister sich woanders aufhielten. Aber es hat doch sicherlich nicht gereicht, in Sicherheit zu bleiben, wenn man sich hinter einem Busch versteckte? Wo war der kleine Bruder zu diesem Zeitpunkt? Außerdem lebte die Mutter nach Marcelines Rückkehr schon wieder im vom Vater gekauften Schloss. Wie kam sie wieder an ihr Haus, das der Familie doch sicherlich enteignet worden war?

"Und du bist nicht zurückgekommen" ist ein sehr persönliches und wichtiges Zeugnis über die Grauen des Holocausts, das ich jedem ans Herz legen kann.