Rezension

Berlin 1944 - 7. Band von 12

Stürzende Feuer -

Stürzende Feuer
von Ben Pastor

Bewertet mit 4 Sternen

Der Wehrmachtsoffizier Martin Bora (*1913 als Martin-Heinz Douglas Baron von Bora) erhält im Italienfeldzug 1944 eine Woche Heimaturlaub, um in Berlin an der Beisetzung seines Onkels, Prof. Dr. Alfred Reinhardt-Thoma, teilzunehmen. Den Onkel, einen prominenten Kinderarzt und Inhaber einer Kinderklinik, verbindet Bora mit Kindheitserinnerungen auf dem elterlichen Gut in Ostpreußen. Boras Familie stammt väterlicherseits von Katharina von Bora ab, seine Mutter hat schottische Wurzeln. Die Handlung spielt in der Woche unmittelbar vor dem Stauffenberg-Attentat am 20.4.1944 auf Hitler. Während der in Italien kriegsverwundete Bora  noch grübelt, ob Onkel Alfreds Ablehnung der Euthanasie wie der Parteimitgliedschaft ihn in seinen „nicht so freien Tod“ getrieben haben könnte oder ob er das Regime mit der Adoption seiner Kinder herausgefordert hat, als er zu ungewöhnlicher Tageszeit zu Kripochef Nebe bestellt wird. Er soll als Sonderermittler im Mord am prominenten Magier Walter Niemeyer ermitteln, der unter diversen Künstlernamen auftrat und offenbar beste Beziehungen zur politischen Elite jener Zeit gepflegt haben.

Dass Bora nur sein restlicher Urlaub für die Ermittlungen bleibt und er als Fahrer und Aufpasser einen erfahrenen Kriminalkommissar zur Seite gestellt bekommt, gibt ihm ebenso zu denken wie die Liste mit 4 Verdächtigen, auf die sich die Kripo offenbar bereits festgelegt hat. Man fragt sich,  ob der Auftrag eine Falle für Bora sein könnte, der aus seiner Zeit bei der Abwehr (militärischer Nachrichtendienst) über einige Verbindungen verfügt, oder ob die zuständigen Ermittler ihn als Bauernopfer verheizen wollen. Während Bora (in bewährter Familientradition) im Adlon residiert und sich mit seinem Sidekick Grimm zusammenrauft, beginnt er als Privatmann das Ausmaß der Mangelwirtschaft durch den Krieg zu realisieren. Er zahlt für seine Tauschgeschäfte in Wodka und denkt immer daran, vor Autofahrten den Reservekanister zu füllen. Seine für Normalsterbliche luxuriös weiten Ermittlungsfahrten führen ihn u. a. ins Lazarett nach Beelitz und ins Umfeld Berlins. Während die Zeit bis zu Boras Abflug nach Italien knapp wird, entwirrt er das Netz um den getöteten Magier, in dem sich Parteigrößen, sowie u. a. ein Detektiv, ein Verleger und ein Journalist verfangen haben.

Martin Bora gibt als Angehöriger der in den 1910ern geborenen Männergenerationen einen hochinteressanten, körperlich versehrten  Serienhelden, der u. a. in Polen, Spanien, Kreta und Stalingrad aktiv ist. Die Väter dieser Männer dienten im Ersten Weltkrieg und sie selbst erinnern sich teils an  Kindheitserlebnisse während dieses Krieges. Bora hat in diesem Band, kurzfristig ohne Verantwortung für „seine Männer“, Gelegenheit seine Position als Versehrter, Sohn, Partner und als „Guter“ zu reflektieren,  der zuvor Zeuge von Kriegsverbrechen geworden war. Aufgrund seiner Herkunft nicht überraschend (Familie: Gutsbesitzer, Verlagsbesitzer, Stadthaus in Berlin) wirkt er auf mich weltfremd. So habe ich mich bei seinen ausufernden Tagebucheinträgen gefragt, wie er nicht mitbekommen haben will, dass die Menschen um ihn herum in der Not unbedruckte Ränder von Zeitungen als Notizpapier verwenden. Gut gelungen finde ich, wie Ben Pastor die Untergangsstimmung einer im Bombenkrieg ausgelaugten, hungernden Nation  lebendig werden lässt, in der sich kaum jemand noch mit anderen zu sprechen traut, um nicht gesehen, gehört und denunziert zu werden.

Fazit

Als Tochter eines Vaters, dessen Altersgenosse ein Martin Bora hätte sein können, finde ich die Neuauflage der Serie faszinierend (deutsch waren 2001/02 nur 2 Bände bei Piper erschienen), allerdings macht es wenig Freude, in der italienischsprachigen Version von Wikipedia Boras bisherige Karriere und seine Familienverhältnisse zu ermitteln, die mir dieser Band nicht ausreichend liefern konnte. Hier wäre ein annotiertes Personenverzeichnis nötig und evtl. ein chronologischer Ablauf seiner Einsätze.

---

Die Serie

Band 7 von 12 Bänden, bisher übersetzt: 1 und 3 (2001/2002)

„Stürzende Feuer“ wird bisher laut Wikipedia.org als 7. Band der 13 bändigen Serie mit Martin Bora gezählt (der Pragband wird mitgezählt, der zusammen mit "La camera dello scirocco" als eigene Serie gelten sollte). Die  verbleibenden 12 Bände spielen zwischen 1939 und 1943, so dass die Serie eher mit Band 11 der goodreads-Zählung  „La strada per Itaca“ / „The road to Ithaca“ (2014) begonnen werden sollte, das 1941 auf Kreta spielt. Ben Pastor sagt  im Interview darüber: The Road to Ithaca" is something of a departure for the Martin Bora series …“ Persönlich würde ich probieren, mit Band 5 (spielt 1937) zu beginnen, um Boras persönliche Entwicklung zu verfolgen.

Kommentare

Buchdoktor kommentierte am 03. August 2024 um 10:32

Die bisher lieferbaren Ausgaben

https://wasliestdu.de/search/book/ben%20pastor