Rezension

Berührendes Thema

Henning flieht vor dem Vergessen - Hilda Röder

Henning flieht vor dem Vergessen
von Hilda Röder

Bewertet mit 5 Sternen

== Buchrückentext: ==

Amsterdam, im Frühsommer 2009. Henning Landes, ein 68-jähriger lebensfroher Niederländer, erhält die Diagnose Alzheimer. Er hat wahnsinnige Angst seine Würde zu verlieren und als entseelter Mensch zu Tode gepflegt zu werden. Trotz liebevoller Zusicherung seiner Familie, sich um ihn zu kümmern und nicht in ein Heim abgeschoben zu werden, will er die Krankheit nicht akzeptieren. Selbstbestimmt im Leben will er auch selbstbestimmt sterben und versucht, eine vom Hausarzt begleitete Sterbehilfe zu erwirken. Diese muss jedoch, nach einer Sondergenehmigung der niederländischen Euthanasie-Kontroll-Kommission, sehr bald erfolgen. In Rückblicken auf sein Leben und getragen von den Erinnerungen, versucht er sich zu entscheiden für oder gegen einen Freitod.

== Leseeindrücke: ==

In diesem Buch verarbeitet und beschreibt die Autorin Hilda Röder, welche in Amsterdam geboren und aufgewachsen ist, ihre Erlebnisse mit ärztlich assistiertet Sterbehilfe. In diesem Roman lernen wir den 68-jährigen Henning Landes und seine Partnerin Luise kennen. Bei Henning wird Alzheimer im Anfangsstadium diagnostiziert. Wir lesen, wie sich die heimtückische Krankheit Alzheimer immer mehr in sein Leben einschleicht. Begriffe für Gegenstände vergessend, seine erwachsenen Kinder für Kinder haltend, Gegenstände suchend ... Nachdem Henning begreift, was mit ihm geschieht, spielt er mit dem Gedanken sich für den "begleitender Freitod" zu entscheiden. Er hadert, er spricht mit seiner Familie und konsultiert seinen Hausarzt. Für Hennings Arzt Dr. Visser auch keine leichte Aufgabe die richtige Entscheidung zu treffen. Seine Familie möchte ihm abraten, ihn sogar pflegen, seine Frau Luise, selbst altersschwach und gebrechlich unterstützt ihn in seinem Vorhaben, denn Luise kann ihn nicht pflegen und somit bekommt der Spruch " ...bis dass der Tod euch scheidet!" auf einem Male eine ganz andere Bedeutung, denn mit "dass der Tod euch scheidet" ist ja eigentlich nicht der begleitete Freitod gemeint gewesen ...

Immer wieder lesen wir von Hennings Gegenwart, von seinem schleichenden geistigen Zerfall, aber auch Rückblenden in sein früheres "gesundes" leben, als ihn diese heimtückische Krankheit noch nicht heimgesucht hatte und an das weiter Vergangene er sich glücklicherweise noch erinnern kann. In diesem Abschnitten taucht Henning mehr und mehr in seine Vergangenheit ein, das einzige, was ihm noch bleiben wird. Jean Pauls Zitat: " Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann " trifft ja auf Alzheimerkranke leider nicht zu, da deren Erinnerungen mehr und mehr verblassen .... so auch bei Henning.

Wie dieses Buch ausgehen wird, ob Henning tatsächlich sein Vorhaben in die Tat umsetzt, oder ob er sich es doch noch einmal anders überlegt und dem Leben als Alzheimerkranker etwas abgewinnen kann, das verrate ich euch natürlich nicht, da ihr dieses Buch bitte selber lesen solltet.

Dieses Hennings Geschichte hat mich tief berührt, da ich unmittelbar von dieser Krankheit selbst betroffen bin, da meine 85-jährige Mutter an Alzheimer erkrankt ist. Sie lebt nur 6 Hausnummern von mir entfernt und ich werde jeden Tag mit ihren Zerfall konfrontiert, daher hat mich das Buch auch sehr traurig und nachdenklich gestimmt. Henning wird charakterlich und menschlich als sehr angenehm beschrieben, dass man diesen lieben Menschen am liebsten sein Leiden wegzaubern möchte, das geht ja aber leider nicht. Wir begleiten Henning auf insgesamt 17 Wochen ab Diagnosenstellung, was er in dieser Zeit erlebt, verlernt hat, ertragen muss. Kein Buch in diesem Jahr hat mich mehr berührt, als dieses.

Positiv hervorheben möchte ich auch, dass die Schrift perfekt groß gedruckt ist, was mir das Lesen erleichtert hat. Zudem sind die Kapitelabchnitte (35 Kapitel auf 323 Seiten) angenehm kurz und übersichtlich. Im Buch integriert ist ein Lesezeichen aus Stoff, welches mir eine perfekte Lesehilfe war. Im Anhang finden wir einen Auszug aus dem Niederländischen Euthanasie Gesetz, sowie Anlaufstellen der Alzheimer-Gesellschaften.

Elisabeth Kübler-Ross hat mal gesagt, wenn einer stirbt, dann ist es für jeden einzelnen Zurückbleibenden schrecklich den geliebten Menschen zu verlieren, der aber der stirbt, der muss sie alle zurücklassen und nicht nur einen und da ist etwas Wahres dran. Irgendwann müssen wir alle einmal die Schwelle übertreten, die wir allein überschreiten müssen, aber ich klammere mich an die Hoffnung, dass ich nicht von meinen Lieben gehen werde, lediglich vor ihnen.

Ich vergebe 5 von 5 Sternen für dieses berührende und nachdenklich stimmende Buch, welches ich mit Tränen in den Augen gelesen habe!

by esposa1969