Rezension

Bezaubernd, verstörend und episch

Die dunkle Seite der Liebe - Rafik Schami

Die dunkle Seite der Liebe
von Rafik Schami

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch ist unglaublich, unglaublich lang, unglaublich kompliziert und unglaublich wunderbar erzählt.

Lange weiß man hier nicht, was einem da eigentlich erzählt wird. Es fängt an wie Romeo und Julia. Farid und Rana leben 1960 in Damaskus, sind beide Christen und lieben sich, was nicht sein darf, weil ihre beiden Familien verfeindet sind. Eine Blutfehde herrscht zwischen den Muschtaks und den Schahins aus dem syrischen Bergdorf Mala schon seit ewigen Zeiten.

Dann holt der Autor ziemlich weit aus und beleuchtet das Leben der Eltern und Großeltern von Farid und Rana. Irgendwann um 1870 herum nahm diese Blutfehde ihren Anfang und wird seitdem von allen Familienmitgliedern erbittert verfolgt. 
Man lernt sie alle gut kennen. Väter, Großväter, Brüder, Freunde, Schulkameraden, Cousins, Kollegen, liest immer wieder spannende, kuriose oder auch traurige Geschichten in der Geschichte. Und auch wenn man gelegentlich meint, den Faden zu verlieren, landet man doch immer wieder bei Rana und Farid, deren Leben allerdings auch weitergeht. 

Durch diese unzähligen Episoden zu unterschiedlichsten Menschen über 100 Jahre hinweg bekommt man auch einen Eindruck vom Leben in Syrien, das wohl schon sehr lange schwierig ist. 
Unter französischer Vorherrschaft gab es wenigstens noch geordnete Verhältnisse. Danach, unter wechselnden Führern nach diversen Putschs, herrschte dann das Recht des Stärkeren. Hier erfährt man, wie Menschen in Straflager gesteckt werden, weil sie die falsche politische Einstellung haben, wie sie aber genauso plötzlich wieder freigelassen werden können, weil sie die richtigen Freunde haben. Korruption, Folter, Diskriminierungen jeder Art, Familienfehden, religiöse Vorbehalte und nicht zuletzt die Stellung der Frau wird hier eindrucksvoll thematisiert.

Wirklich ergreifend und aufschlussreich ist dann das letzte Kapitel des Buches, in dem der Autor erzählt, wie und warum er dieses Buch geschrieben hat. Im Hörbuch liest er es auch noch selbst. Da zwickt einen die Gänsehaut.
Seit den frühen 60er Jahren bewegte ihn die Idee „einen Roman über alle Spielarten der verbotenen Liebe in Arabien“ zu schreiben, was sich dann als Mammutaufgabe erwies.

„Ich wollte von der Liebe unter erschwerten Bedingungen erzählen. Politik und reale Geschichte dienen als Requisiten und Hintergrund eines Romans über verbotene Liebe unter Damaszener Bedingungen.“

Bis Ende der 90er Jahre hat er Geschichten gesammelt, recherchiert, gefeilt, bis er endlich dieses großartige Buch vorlegen konnte. 
Es ist ein Blick in eine fremde Welt, bezaubernd und verstörend, am Ende aber doch eine Liebesgeschichte. Großartig!