Rezension

Coming of Age und Trauer

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne -

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
von Sina Scherzant

Bewertet mit 3 Sternen

Die Wohnung beengt, die Mutter von Arbeit und der eigenen Verzweiflung eingenommen, die neuen Mitschüler*innen - mal schauen. Wenn ihr eigenes Leben gerade schon irgendwie unbequem ist, sollen es wenigstens die anderen besser haben, denkt sich Katha, und so tut sie, was sie immer tut - sie macht es allen recht. Kümmert sich um die jüngere Schwester, die sich kaum in ihr neues Leben einfinden kann, schmeißt den Haushalt, arbeitet in der Schule mit. Sie ist Mustertochter, Musterschwester, Musterschülerin, Musterfreundin. Sie ist Lebenshandwerkerin. Ihre Gedanken und Gefühle macht sie, wenn überhaupt, mit sich selbst aus. Bis sie eines Tages am Fenster Angelicas steht und es plötzlich aus ihr herausbricht, all das, was sich in den letzten Jahren angestaut hat.

Nach der Scheidung ihrer Eltern ziehen Katha und Nadine mit der Mutter nach Dortmund. Die Trennung hat sich lange abgezeichnet, Kuppelversuche mittels Zettelbotschaften hin oder her. Und nun sitzen sie dort, in dieser Wohnung, in der sich niemand wirklich zuhause fühlt, in der die Abwesenheit des Vaters allgegenwärtig ist, in der man einander und der Welt nur im Badezimmer entkommen kann. Anschluss in der Schule findet man schnell, wenn man ein Chamäleon ist, für Katha also im Gegensatz zu ihrer Schwester kein Problem. Aber wohin mit all dem, was sich nicht aussprechen lässt, weil es niemanden interessiert, weil man stark sein und für andere da sein muss? In Angelica findet Katha eine Gesprächspartnerin, denn sie hört ihr zu, sie will wissen, wie es Katha geht. Und zwar wirklich, da genügt keine Standardantwort. Angelica gibt Katha all die mütterliche Liebe und den Halt, die dieser in ihrem jungen Leben fehlen. Und dann, eines Tages, steht das alles einfach so vor dem Aus, und für Katha gerät die Welt ins Wanken.

Scherzants Roman ist der Inbegriff von Coming-Of-Age, besonders in der ersten Buchhälfte. Katha, die nach und nach all die Schwierigkeiten des Lebens erahnt, die längst kein Kind mehr ist und manchmal doch so gerne noch eins wäre, muss lernen, sich nicht nur in der Welt zurechtzufinden, sondern auch für sich selbst einzustehen. Der zweite und dritte Teil des Buches dann widmen sich Angelica und ihrer Krankheit und Kathas Umgang damit. Der zweite Teil ist dabei eher fragmentarisch und arbeitet viel mit Wiederholungen und alternativen Szenarien. Das kann mitunter recht anstrengend werden, weil sich Realität und Fantasie vermischen und weil die Leichtigkeit, die die erste Buchhälfte trotz allem kennzeichnet, der Eintönigkeit und der Last von Trauer und großem Schmerz weichen. Anschließend nimmt die Handlung zwar nochmal etwas an Fahrt auf, reicht aber nicht mehr ganz an den Beginn des Romans heran; eine gute Lektüre ist der Roman dennoch.