Rezension

Das Gegenteil von Bollywood...

Die Detektive vom Bhoot-Basar - Deepa Anappara

Die Detektive vom Bhoot-Basar
von Deepa Anappara

Bewertet mit 4.5 Sternen

Haltlose Zustände erzählt aus der noch hoffnungsvollen Sicht von Kindern - eindrucksvoll, bildgewaltig, nachhallend...

Der neunjährige Jai lebt mit seiner Familie in einer Einraumhütte in einem Elendsviertel einer nicht näher bezeichneten indischen Stadt. Er hat Träume wie andere Kinder auch, und derzeit hat er dank TV-Vorbildern den Wunsch, der weltbeste Detektiv zu werden und Kriminalfälle aufzuklären. Als im Bhoot-Basar ein Kind verschwindet, sieht Jai seine Chance gekommen. Obwohl seine Freundin Pari in der Schule deutlich besser ist als er, glaubt der Neunjährige, dass sie sowie sein Freund Faiz ihn höchstens als Assistenten bei seinen Ermittlungen unterstützen können. Jais Rolle als Anführer wird nicht wirklich akzeptiert, aber die drei Freunde machen sich alsbald auf die Suche nach dem verschwundenen Kind.

Was wie ein Kinderspiel beginnt, erhält zunächst schleichend und dann immer rasanter eine ernstere Note. Immer mehr Kinder verschwinden in dem Elendsviertel, die Familien verzweifelt, die Polizei untätig, korrupt und desinteressiert, ganz im Stile eine Schutzgeld-Mafia. Die Lage in der Nachbarschaft spitzt sich zu, neben Angst hält Misstrauen Einzug, und schnell ist eine schuldige Partei gefunden: die im Viertel lebenden Muslime. Jai und seine Freunde sind entsetzt, um so mehr, da Faiz und seine Familie ebenfalls muslimischen Glaubens sind. Aber wer oder was steckt denn nun hinter dem Verschwinden der Kinder? Sklaven- oder Organhändler? Oder doch Geister und Dämonen?

Deepa Anappara lebt heute in England, wuchs aber in Indien auf, wo sie jahrelang als Journalistin arbeitete. Im Rahmen ihrer zahlreichen Recherchen in den Elendsvierteln indischer Großstädte sammelte sie Begegnungen und Erzählungen, gerade auch die Schicksale vieler Kinder. In diesem Roman wollte Deepa Anappara nicht nur den widrigen Lebensumständen dieser ärmsten aller armen Kinder Rechnung tragen, sondern vor allem auch demonstrieren, dass es diesen Kindern trotz allem nicht an Hoffnung fehlt, dass sie sich oftmals nicht als Opfer sehen, nicht resignieren, sondern im Gegenteil mit einer gehörigen Portion Frechheit, Humor, Sarkasmus und Energie durchs Leben gehen. Dies verrät sie im Nachwort zu diesem Roman, und tatsächlich ist dieses Vorhaben in meinen Augen gelungen.

Für mich war es überhaupt ein gelungener Schachzug, die Geschehnisse aus der Sicht eines Kindes zu schildern. Das Basti (das Armenviertel), in dem Jai und seine Freunde leben, wird bildgewaltig als genau das dargestellt, was es ist: eine kaputte Welt. Armut, Ungleichheit, erschreckende hygienische Zustände, Chancenlosigkeit, Gewalt gegenüber Kindern und Frauen, Korruption und Ungerechtigkeit, religiöse Spannungen und Kämpfe - und über allem der immerwährende Smog, der, neben all den anderen genannten Faktoren, ernsthaft gesundheitsgefährdend ist. 

Durch die kindliche Perspektive wird alles ungefiltert gezeigt, jedoch ohne anzuklagen oder zu moralisieren. Das Erkennen der Unfassbarkeit und die Wertung eines Lebens unter solchen Umständen findet dann allein im Kopf des Lesers statt, der zusehen muss, wie er mit der Wucht der auf ihn einprasselnden Bilder klarkommt. Bei der kindlichen Perspektive fehlt zudem die Resignation und Hoffnungslosigkeit vieler Erwachsener - ganz im Gegenteil sprühen die Kinder oftmals vor Viatalität, Einfällen, Witz und Wagemut. Dies bietet einen wohltuenden Kontrast, ohne den das Gelesene sicherlich nur schwer zu ertragen gewesen wäre. 

Trotz des kindlich-naiven Erzählstils und einigen humorvollen Einschüben hat es Deepa Anappara vermieden, hier eine Feel-Good-Story zu erzählen. Die Detektivspiele der Kinder bieten den Rahmen für die Darstellung realer Lebensumstände vieler Slumbewohner Indiens - auch die zahlreichen verschwundenen Kinder zählen dazu. Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass das Schicksal dieser Kinder im Roman nicht wirklich aufgeklärt wird. Es gibt Anhaltspunkte, schreckliche Umstände zu vermuten, aber Deepa Anappara lässt Jai und den Leser zumindest mit einem winzigen Funken Hoffnung zurück. 

Ein literarisches Debüt, das mich wider Erwarten mit einer emotionalen Tiefe überrollt hat, die auch Tage nach der Lektüre noch nachwirkt. Vordergründig ein Krimi, untergründig eine Milieuschilderung, die betroffen macht, die durch die Einblicke, die Deepa Anappara jahrelang in die Armenviertel indischer Großstädte erhielt, aber unzweifelbar authentisch ist. Um so erschreckender... 

Lesenswert, empfehlenswert, beeindruckend.

 

© Parden