Rezension

Das große Krabbeln

Wallace - Anselm Oelze

Wallace
von Anselm Oelze

Bewertet mit 3.5 Sternen

Alfred Russel Wallace ist im Alter von 90 Jahren verstorben. Ein langes Leben, dass um viele verschiedene Themen kreiste und in denen sich Wallace einen Namen als wissenschaftlicher Entdecker und Biologe unter seinen Zeitgenossen erarbeitete. Bis an sein Lebensende setzte er sich mit seinen und anderen Theorien auseinander, publizierte bis kurz vor seinem Tod. Vor dem Roman von Anselm Oelze war mir Wallace gänzlich unbekannt. Das mag kaum als hinlängliches Argument für die fehlende wissenschaftliche Größe von Wallace gelten, ich bin ja kein Biologe oder Forscher. Über Darwin weiß ich eigentlich auch so gut wie nichts, aber ich kann mich dunkel an einige Lektionen aus dem Schulunterricht erinnern, in denen er eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Beendete nicht Darwins Theorie zur Entstehung der Arten die Alleinherrschaft der christlichen Kirche über den Wissensanspruch zum Ursprung allen Lebens? Allein diese Feststellung nach Ende der Lektüre, spielt dem Autor Anselm Oelze natürlich immens in die Hände. Wallace, der vergessene Zweite im Kampf um den Platz im Gedächtnis der Menschheit. Was liegt da näher, als einen Roman über ihn zu schreiben und ihn so zurück in das kulturelle Gedächtnis zu holen? Und ich bin Oelze wirklich dankbar für sein Buch. Denn während mich der Wikipedia-Eintrag über Wallace bereits im ersten Absatz zur Evolutionstheorie ins Gähnnirvana katapultierte, habe ich mich mit dem „jungen Bärtigen“ sofort identifizieren können und mich selbst hinter ihm her durch den Urwald stapfen sehen. Betrunkene Kakadus, verrottende Schweine in einer Fliegenwolke (gut, dass Bücher keine Gerüche transportieren) und von Fieberkrämpfen geschüttelte Forschererkenntnisse – so ist das Forscherleben auch für Normalsterbliche wie mich nachzuvollziehen und vor allem einprägsam. Es hätte gern noch ein bisschen mehr zu Wallace' Leben sein können, aber ich verstehe den Schachzug zur Gegenwart und dem darin lebenden spröden Bromberg ganz gut. So musste der Autor nicht in der Geschichte um den „jungen Bärtigen“ mit ganz viel Überzeugungskraft für Wallace eintreten, sondern hat dies in die Hände eines eigentlich eher lethargischen, leicht vereinsamten Nachtwächters gelegt, der dadurch auch noch sein eigenes Leben durcheinander wirbeln konnte. Nicht in allen Erzählschachzügen konnte ich Oelze zustimmend folgen, mich aber im Großen und Ganzen doch einverstanden erklären. Ich mag die ausufernde, dem historischen Setting angepasste Erzählsprache in den Kapiteln zum Naturforscher ebenso wie die morgendlichen Wortgefechte der Birnstiel-Gesellschaft. Und mir gefällt, dass Bromberg plötzlich aus seiner Routine ausbricht, inspiriert von einem vergessenen Wissenschaftler des vorletzten Jahrhunderts. Natürlich ist nicht alles rund in dieser Geschichte, aber ich bin Fan von Ecken und Kanten und so werde ich sowohl Wallace als auch Bromberg bestimmt nicht ganz so bald vergessen.