Rezension

Demenz...

Solange wir schwimmen -

Solange wir schwimmen
von Julie Otsuka

Bewertet mit 3.5 Sternen

Innovative Stilmittel und besondere Erzählperspektiven schaffen gleichzeitig Distanz und eine besondere Eindringlichkeit - beeindruckend...

In ihrem Schwimmbad fühlen sie sich zu Hause, hier können sie bei ihren täglichen Bahnen ihre Sorgen hinter sich lassen: Designer, Nonnen, Hundesitter, Veganerinnen, Polizisten, Professorinnen, Schauspieler... Bis eines Tages ein Riss erscheint – am Beckengrund, aber auch im Gedächtnis von Alice, die genau wie die anderen hier im Schwimmen stets Trost und Halt gefunden hat. Während sie bald nur noch in bruchstückhaften Erinnerungen schwimmt, versucht ihre Tochter, sich in ihre Mutter hineinzuversetzen, ihr Verhältnis zueinander neu auszuloten und Alice’ Leben Sinn und Zusammenhang zurückzugeben. (Verlagsbeschreibung)

Hier schreibt eine Tochter über ihre Mutter Alice, die an Demenz leidet. Das Thema ist offenkundig eines, das die Autorin selbst betroffen hat, und dem nähert sie sich hier im schmalen Roman im Verlauf immer mehr an. Dabei beginnt die Handlung in einem Schwimmbad unter der Erde, einem Ort, in dem sich ein festes Publikum immer wieder begegnet, und auch Alice gehört dazu. Sie vergisst zwar bereits vieles, aber das Schwimmen gehört fest in ihren Alltag, und dort kennt sie auch noch alle Abläufe. Alles geht gut, bis ein Riss am Beckenboden entsteht, über den man zunächst hinweggeht, der aber allerhand Stoff für Spekulationen bietet und schließlich der Grund für die Schließung des Schwimmbades ist.

Danach folgt ein Kapitel, in dem die Autorin aufzählt, was Alice noch kann und weiß - und was bereits dem Vergessen anheim gefallen ist. Nüchterne Aufzählungen schlagen dabei einen leichten Ton an, doch dahinter schimmert die wachsende Verzweiflung durch - zumindest habe ich hier das erste Mal geschluckt. Wie nebenher werden durch die Aufzählungen aber auch biografische Daten von Alice vermittelt, was ich sehr innovativ fand. Das darauf folgende Kapitel ist das grausamste. Hier wird dem Altersheim eine Stimme gegeben: "Willkommen im Belavista. Wir sind eine gewinnorientierte Langzeit-Pflegeeinrichtung (...)" - und nüchtern, zynisch, gnadenlos wird auf den Zustand der Patient:innen ebenso eingegangen wie auf die routinierten Abläufe im Heim. Das war für mich ehrlich gesagt Hardcore, auch wenn man das alles im Grunde schon weiß. Im letzten Kapitel wird dann beklemmend genau beleuchtet, wie die Besuche im Heim verlaufen, wie sich Alice verändert, wie ihr Mann mit der Situation umgeht, wie die Tochter.

Die Perspektiven wechseln in den einzelnen Kapiteln und sind sehr ungewöhnlich. Die Schwimmbadsituation beschreibt ein "wir", das die lose Gruppierung der Schwimmer als Gemeinschaft schildert und auch Alice mit einbezieht. Alices Zustand im Kapitel darauf nimmt eine distanzierte "sie" Perspektive ein, der Abstand wahrt und die Betroffenheit somit wegschiebt. Die geschilderte Perspektive des Altersheims wird schließlich abgelöst von einem "du", womit die Tochter sich selbst meint und damit wiederum für eine Distanz sorgt, die Gefühle möglichst außen vor lässt. Ein überaus interessanter Persektivwechsel also im Verlauf, der nie die Distanziertheit verliert und doch Emotionen / Zweifel durchschimmern lässt, die stellenweise womöglich der Leser / die Leserin an Stelle der Betroffenen erlebt.

Gemeinsam mit den Aufzählungen als durchgängiges Stilmittel sorgen die außergewöhnlichen Erzählperspektiven für einen sehr ungewöhnlichen Roman, der mich bei aller Distanziertheit doch berühren konnte.

 

© Parden