Rezension

Der Blick ins Gehirn - ein Blick in die Seele?

Ein erhabenes Königreich -

Ein erhabenes Königreich
von Yaa Gyasi

Gifty kann Mäusen beim Denken zuschauen und möchte ihr Entscheidungsverhalten und Belohnungsstreben beeinflussen. Sie ist Neurowissenschaftlerin und versucht in Tierexperimenten eine Lösung für das uralte Menschheitsproblem der Sucht zu finden. Obwohl sie etwas anderes behauptet, ist der Grund für ihr Engagement schnell ausgemacht: Der eigene große Bruder ist erst oxycodon- später heroinabhängig gewesen und daran gestorben. Die eigene Mutter ist über alldem depressiv geworden, wehrt sich gegen eine medizinische Behandlung und hält sich lieber an ihre Religion und Kirche im tiefgläubigen Alabama. 

Nach und nach erfahren wir als Leser mehr über Giftys Familie und deren Vergangenheit, die Einreise der Eltern aus Ghana und das Hadern der Protagonistin mit ihrem eigenen Glauben. Dabei formuliert die Autorin immer wieder mitunter großartige Gedankengänge, legt Lebenswege und Entscheidungen offen durch eine psychologische Feinfühligkeit. Leider verharrt die Autorin meines Erachtens häufig nicht lang genug an einer Stelle, hält den Finger nicht ausführlich genug in eine Wunde. Geht es eben noch um die äußerst authentisch geschilderte Abhängigkeitsgeschichte des Bruders, springt sie im nächsten Absatz in eine andere Zeit, zu einem anderen Thema. Zur Ehe der Eltern, zur Depression der Mutter oder zu ihren eigenen Liebesbeziehungen. Natürlich, all diese Themen hängen dicht verwoben miteinander zusammen. Und trotzdem verliert dadurch das eben noch herausragend Sezierte seinen Nachdruck. Letztendlich fragt man sich, was eigentlich der Kern dieser Geschichte sein soll. Was die Message des Romans. Die Hauptperson Gifty bleibt als Charakter häufig zu flach. Wir erfahren so viel über sie und ihr Leben, bleiben ihr aber doch so fern.

Selten habe ich auch bei einem durchaus sehr gut recherchierten, ambitionierten Roman ein so liebloses Ende erlebt. Die Lesenden werden mit ein paar Seiten "Was danach geschah" abgefertigt, die Themen des Romans wie heiße Kartoffeln fallen gelassen. Sehr schade, da sich dieser Roman durchaus noch zu einem sehr guten hätte mausern können.

Letztendlich habe ich hier stark zwischen einem "gut" und "sehr gut" geschwankt, da die Autorin wichtige Themen aufwirft und die Lektüre durchaus lohnenswert ist. Leider aber literarisch nur Mittelmaß. 3,5 Sterne von mir für diesen zweiten Roman der Autorin. Ich werde sie weiter beobachten und bin nicht abgeneigt, weitere Romane von ihr zu lesen. Sie ist sicherlich eine wichtige ghanaisch-us-amerikanische Literaturstimme, die sich hier jedoch zu wenig fokussieren konnte.