Rezension

Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass

Ein erhabenes Königreich -

Ein erhabenes Königreich
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 4 Sternen

Als Kind bin ich in einem christlichen Umfeld aufgewachsen. Es war ganz natürlich, dass es Gott gibt und es gehörte dazu, in die Kirche zum Gottesdienst zu gehen, Lieder zu singen und Gebete zu sprechen. In meiner Familie gab es keinen dogmatischen Umgang mit dem Glauben. Die Kirche gehörte zum Alltag dazu, nahm aber keinen übergeordneten Raum ein. Mir gab das als Jugendliche die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie ich zum Glauben und zur Kirche stehe. Und der hatte viel mit den Menschen der Kirche zu tun, die mir in der sensiblen Zeit des Erwachsenwerdens auf Augenhöhe begegnet sind, sich meinen kritischen Fragen gestellt und mir Raum gegeben haben. In Yaa Gyasis Roman „Ein erhabenes Königreich“ spielt der Glaube eine große Rolle. Giftys Familie stammt aus Ghana. Ihre Mutter aber wollte ihrem Sohn Nana „die ganze Welt geben“ und wanderte in die USA aus, ihr Mann zog nur widerstrebend mit. Als Gifty in Alabama zur Welt kam, war das Leben der Familie schwer und vom Rhythmus der Arbeit bestimmt, deren Lohn trotzdem kaum für das Nötigste reichte. Giftys Vater blieb unglücklich in diesem fremden Land, in dem man auf ihn herabsah. Er kehrte nach einem Besuch der Heimat nicht wieder zur Familie zurück. Giftys Bruder Nana war ein begnadeter Sportler. Für einen kurzen Augenblick schien es möglich, dass er sich die ganze Welt erobern könnte. Doch dann entwickelten sich die Dinge in die falsche Richtung und Nana starb, bevor sein Leben richtig begonnen hatte. Der Verlust des Bruders lässt Gifty an ihrem Glauben zweifeln. Als Studentin wendete sie sich ab von Gott hin zur Wissenschaft und forscht als Neurowissenschaftlerin über die Möglichkeit dem Suchtverhalten mehr als Willenskraft entgegenzusetzen. Giftys Mutter schien ihre Stärke immer aus dem Glauben und ihrer Kirchengemeinde zu ziehen. Nach Nanas Tod legte sie sich eines Tages ins Bett und stand nicht wieder auf. Jenen Sommer verbrachte Gifty bei ihrer Verwandtschaft in Ghana, bis es ihrer Mutter wieder besser ging. Das Leben ging weiter. Doch nun passiert es ein zweites Mal und zwingt auch Gifty dazu sich mit ihrer Mutter und dieser schmerzlichen Zeit erneut auseinander zu setzen.
Yaa Gyasis Roman ist eine faszinierende Auseinandersetzung mit dem Glauben, Verlust, Familie und Zugehörigkeit. Aus Giftys Erzählperspektive wird Vergangenheit und Gegenwart in loser, wechselnder Abfolge zusammengebracht, bis sich die gesamte Familiengeschichte darstellt. Es ist ein fast sachliches Erzählen, aus dem ich dennoch Giftys ganzen Schmerz herauslesen kann, der mich trifft und tief bewegt. Sie ringt mit Gott und ihrem Glauben, sie ringt aber auch mit ihrer Familie. Mit der starken, stolzen Mutter, die in der fremden englischen Sprache ihre Lautstärke verliert. Sie ringt mit dem Vater und seiner Abwesenheit in der Familie. Sie ringt mit dem Ehrgeiz ihres großen Bruders und dem Nichtverstehen seiner Sucht, der ihn und die Familie zerstört. Am meisten ringt Gifty wohl aber mit sich selbst. Sie wird von niemanden an die Hand genommen, der große Bruder ist fort und die Mutter, die ohnehin kaum Zeit für ihre Kinder hatte, weil sie für deren Lebensunterhalt sorgen musste, versinkt in ihrem eigenen Schmerz ohne Blick für ihre einsame Tochter. Besonders erschüttert mich die Darstellung der christlichen Gemeinde, in der Giftys Mutter ihren Halt sucht und in der ihre Tochter Erlösung finden soll. Diese Art der unkritischen, dogmatischen Auseinandersetzung mit der Bibel und dem Glauben an Gott macht mich wütend und traurig zugleich. Diese Gemeinschaft gibt keinen Halt, sie flüchtet sich in ein religiöses Konstrukt, geprägt von einem überheblichen und überholten Blick auf die Welt.
Ob wir es wollen oder nicht, aber Familie prägt uns. Yaa Gyasi zeigt auf eine eindringliche und berührende Art und Weise auf, dass nicht die Abkehr von der Familie, sondern die Auseinandersetzung mit ihr und damit mit uns selbst, ein Weg sein kann, Hoffnung für die Zukunft und Frieden in uns selbst zu finden.