Rezension

Ein bewegendes Buch

Ein erhabenes Königreich -

Ein erhabenes Königreich
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 4 Sternen

Yaa Gyasis Roman »Ein erhabenes Königreich« erzählt, aus der Perspektive der Hauptfigur Gifty, die Geschichte einer Familie, die aus Ghana in die USA auswandert, weil die Mutter ihrem kleinen Sohn Nana ein besseres Leben ermöglichen will, als in Ghana zu erwarten wäre; Gifty wird in den USA geboren. In der Geschichte Giftys und ihrer Familie sind verschiedene Themen enthalten: etwa die Situation einer afroamerikanischen Familie in einer weißen Umgebung, Rassismus; die Bedeutung von Religion; der Weg eines Familienmitglieds in die Sucht und das Leben der anderen Familienmitglieder (Mutter, Schwester) mit dieser Belastung; Depression.

Gifty erlebt all dies schon als Kind. Der Vater, der eher widerwillig in die USA kam, ist längst nach Ghana zurückgekehrt. Gifty liebt Nana, ihren Bruder, einen begnadeten Sportler, der durch Schmerzmittel, die er nach einer Verletzung erhält, in die Drogensucht rutscht; die Mutter wird durch das Geschehen depressiv – Gifty muss mit zehn, elf Jahren mit alldem zurechtkommen.

Im Klappentext heißt es: »Ihre Familiengeschichte hat dazu geführt, dass Gifty als erwachsene Frau ihren Glauben gegen die Neurowissenschaften eingetauscht hat. Sie ist davon überzeugt, dass sich Depression und Abhängigkeit, und damit Trauer und Leid, durch entsprechende Behandlung verhindern lassen. Doch die Angst um ihre Mutter, die fest verankert in ihrer Religion stets allen Schwierigkeiten im weißen Amerika gewachsen war, lässt Gifty an beidem zweifeln: Kann nur die unbestechliche, aber seelenlose Wissenschaft ihr die Mutter zurückbringen oder gelingt das allein den herzerwärmenden Erlösungsversprechen der Kirche?«

Aus meiner Sicht entspricht diese Zusammenfassung nicht dem, was im Roman erzählt wird: Giftys Glauben an Gott ist mit dem Tod ihres Bruders verlorengegangen, aber die Religion (die Familie gehört zu einer Gemeinde evangelikaler Christen) verschwindet nie ganz aus Giftys Leben. Die Zuwendung zu den Neurowissenschaften bedeutet keinen Bruch mit ihrem bisherigen Leben, sondern ist der Versuch, auf dem Hintergrund ihrer Biographie stark zu sein und zu glänzen und zugleich Mittel zu finden, die eine Antwort auf die Katastrophen der Familie sind: Sucht und Depression. Und »seelenlos«: »Meine [wissenschaftlichen] Texte … hielten die Fakten meiner Experimente fest, sagten jedoch nichts darüber, wie es sich angefühlt hatte, eine Maus zu halten und zu spüren, wie ihr Körper in meiner Hand pulsierte, während sie atmete und ihr Herz schlug. Ich wollte auch das mitteilen. Ich wollte sagen, hier ist er, der Atem des Lebens.« (S. 283) Mit »seelenlos« hat dies nichts zu tun; die zitierte Frage des Klappentextes: »Kann nur die unbestechliche, aber seelenlose Wissenschaft ihr die Mutter zurückbringen oder gelingt das allein den herzerwärmenden Erlösungsversprechen der Kirche?«, beschreibt eine Alternative, welche die Schreiber des Klappentextes ins Buch hineingelesen haben, die ihm aber nicht entspricht.

Bewegend ist die Geschichte des Bruders und Giftys Umgang damit, die ihn »in all seiner Herrlichkeit« anschauen will, »in all seiner Schönheit«, und die im Rückblick erkennt, was ihr entging, »wann immer ich ihn anschaute und nur seine Sucht sah« (S. 238). Bewegend ist die Geschichte der Mutter, die der Familie das wirtschaftliche Überleben sicherte, in Giftys Kindheit als eher harte Frau erschien und nach dem Tod des Bruders zusammenbricht, und von Giftys Bemühen um sie. Und schließlich Giftys Geschichte, wie sie sich in Yaa Gyasis Erzählung aus den privaten und gesellschaftlichen Belastungen (Stichwort: »Rassismus«) entwickelt, mit Problemen und Brüchen und viel Kraft und Tapferkeit im Leben.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 06. September 2021 um 00:08

Ah, es hat dir gefallen, das Buch. Ich habe ihr erstes gelesen und für gut befunden, trotzdem brauche ich keine weiteren Romane mehr von dieser Autorin, da ich eine recht einseitige Thematik vermute.

Steve Kaminski kommentierte am 06. September 2021 um 14:10

Hmmmm. Ich weiß ja nicht, was Du vermutest; das Rassismus-Thema läuft dieses Mal mehr am Rande mit; die Religion ist, anders als es der Klappentext und die Überschriften mancher Rezis hier vermuten lassen, eben nicht ein Gegensatz zur Wissenschaft, es gibt keine simple Gegenüberstellung von Religion und WIssenschaft, sondern Gifty integriert beides in ihr Leben; und auch, wenn sie sich vom Gottesbild ihrer Kindheit entfernt, leugnet sie nie, was sie ihr bedeutet und was sie in ihr erlebt hat: auch wenn sie deshalb von Wissenschaftlern schräg angeguckt wird.

Wie auch immer:Jedenfalls ist dieser Roman ganz anders als der erste.

wandagreen kommentierte am 06. September 2021 um 16:28

Du hast also beide gelesen?! Ohne Frage ist die Autorin ein Schreibtalent.

Steve Kaminski kommentierte am 06. September 2021 um 20:47

Ja, beide. "Heimkehren" gehört zu meinen Favoriten.