Rezension

Der etwas andere Schmöker

Der Tag, an dem der Goldfisch aus dem 27. Stock fiel - Bradley Somer

Der Tag, an dem der Goldfisch aus dem 27. Stock fiel
von Bradley Somer

Bewertet mit 4 Sternen

Einige Worte zum Inhalt

Ian ist ein Goldfisch – und er fällt. Und zwar aus dem 27. Stock eines Wohnhauses. Während Ian dem Erdboden entgegenrast (und praktisch sekündlich vergisst, dass er fällt), erhascht er einen Einblick in die Leben der anderen Hausbewohner. Da gibt es Katie, die alsbald herausfinden soll, dass ihr Freund Connor sie betrügt, den klugen Jungen Herman, der innerhalb einer halben Stunde Großes vollbringen wird, die Einsiedlerin Claire, die sich nicht mehr vor die Tür wagt, und weitere Gestalten wie den einsamen Hausmeister Jimenez und den Bauarbeiter Garth, der ein unerwartetes Geheimnis verbirgt.

Meine Meinung

Erst einmal muss ich sagen, dass ich die Idee sehr witzig finde: Ein Goldfisch, der sich plötzlich im freien Fall wiederfindet und einen kurzen Blick auf die Menschen hinter den Fenstern eines Hochhauses werfen kann, während er in atemberaubendem Tempo dem Gehweg entgegenschießt und seinen Fischglaskumpel, die Schnecke Troy, langsam vergisst. Das Buch hat mich wunderbar durch das Lernen geleitet, da es in viele kleine Kapitel eingeteilt ist, die man hervorragend mal eben verschlingen kann. Die Geschichte ist zwar kurzweilig, hat mich aber sehr gut unterhalten und mich das eine oder andere Mal zum Nachdenken gebracht. Denn in Ian steckt ein kleiner Philosoph, der sich in den Kapiteln aus seiner Perspektive entfaltet.

“Ein ganzes Leben in einem Fischglas führt dazu, dass man als alter Fisch stirbt, ohne auch nur ein einziges Abenteuer erlebt zu haben.” – S. 63

Doch auch die anderen Charaktere sind mir rasch ans Herz gewachsen. Bradley Somer hat tolle Persönlichkeiten konstruiert, die authentisch und dreidimensional wirken. Ich konnte ihre Gedanken und Handlungen nachvollziehen, habe in brenzligen Situationen mit ihnen mitgefiebert, mich für sie gefreut und mit ihnen gelitten. Dabei habe ich vor allem für Herman eine große Zuneigung entwickelt, denn er ist intelligent, genau wie Ian ein philosophischer Zeitgenosse und etwas (ach Quatsch – etwas sehr!) verschroben. So fällt er zum Beispiel in Ohnmacht, wenn er sich bedroht fühlt – nicht gerade ideale Voraussetzungen für ein abenteuerreiches Leben.

“Unendlichkeit ist Unendlichkeit, denkt er. Es ist nicht meine Aufgabe, ihre Zählbarkeit zu untersuchen, sondern nur, sie zu akzeptieren.” – S. 59

Die Handlung ist temporeich, doch man muss sich immer wieder gedulden, um zu erfahren, wie es mit den Charakteren weitergeht. Da das Buch viele verschiedene Perspektiven beinhaltet, switched man zwischen zahlreichen Charakteren hin und her und stirbt fast vor Neugierde, wenn ein Kapitel in einem besonders spannenden Moment endet. Die einzelnen Handlungsstränge fügen sich fließend ineinander und ergeben ein sehr schönes Gesamtbild. Genau wie Ian erhascht man selbst jedoch auch nur einen kleinen Einblick in die Leben der Menschen. Trotzdem hat man am Ende das Gefühl, dass man die Charaktere gut kennt.

Was mir nicht gefallen hat, waren die häufigen Wiederholungen, die durch die Perspektivwechsel entstanden sind. Immer wieder liest man etwas, das man so schon einmal gelesen hat, was zwar toll ist, wenn man das Buch nur häppchenweise konsumiert, bei zügigem Durchlesen aber auffällt. Mich persönlich haben diese Wiederholungen eher verwirrt, da ich jedes Mal dachte: “Moment, hast du genau diese Sätze nicht eben schon einmal gelesen?”. An diesen Stellen hätte man etwas mehr auf die Aufmerksamkeit des Lesers vertrauen dürfen.

“Manchmal kann man eben nichts anderes tun, als einem Hund einen Menschennamen zu geben und ihn zu seinem Freund zu machen.” – S. 171

Bradley Somers facettenreicher Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Manchmal locker-lässig, dann wieder ernst, humorvoll, bedrückend, philosophisch und poetisch. Hier war definitiv ein Wortjongleur am Werke! Er hat es geschafft, mit seinem Stil zugleich Nähe und Distanz aufkommen zu lassen, was genau die Stimmung des Buches einfängt: nah und doch fern. Handlung und Schreibstil ergänzen einander und ich habe das Ensemble genossen. Sehr gerne mochte ich auch den philosophischen Aspekt des Schreibstils, der nicht selten zum Nachdenken anregt.

Fazit

Der Tag, an dem der Goldfisch aus dem 27. Stock fiel ist ein unterhaltsamer Roman, den man einfach ins Herz schließen muss. Bradley Somer fesselt mit seinem Schreibstil so sehr, dass der Alltag der Menschen, die das Hochhaus The Seville on Roxy bewohnen, zu einer spannenden Geschichte wird, die man am liebsten am Stück verschlingen möchte. Eine sehr gelungene Geschichte mit philosphischem und humorvollem Touch für schöne und gemütliche Lesestunden!