Rezension

Die Ausgestoßenen Istanbuls

Unerhörte Stimmen - Elif Shafak

Unerhörte Stimmen
von Elif Shafak

Elif Shafak - Unerhörte Stimmen 

Ein spannendes Konzept und ein toller Schreibstil – was will man mehr!

Die soeben ermordete und in einer Mülltonne in Istanbul entsorgte Leila, erzählt aus ihrem Leben. Denn nach dem Tod eines Menschen kann das Gehirn noch gut zehn Minuten aktiv sein.

Ein wirklich ungewöhnlicher Anfang. Empathie stellt sich erst nach und nach ein, wenn man die Person Leila besser kennenlernt. 

Sie erzählt davon, wie es zu ihrem viel zu frühen Tod kommen konnte. Sie erinnert sich an ihre Kindheit in einem kleinen Dorf in der Türkei, an den Missbrauch durch den Onkel und an die darauf folgende Vertuschung und daran, wie sie schließlich vom Vater verstoßen wurde. Kaum in Istanbul angekommen, landet sie schon in der Prostitution. 

Nicht nur Leila, auch ihre fünf Freunde erheben ihre Stimmen und das hat durchaus etwas Anklagendes. Denn sie alle wurden auf verschiedene Art und Weise an den Rand der Gesellschaft gedrängt, ohne Hoffnung auf Rehabilitation. Alle fünf Schicksale werden dem Leser vorgestellt.

Nun wollen sie sich nicht damit abfinden, dass ihre Freundin in aller Eile auf dem Friedhof der Geächteten begraben wurde. Einmal wollen sie sich wehren gegen die Mächtigen und die Ungerechtigkeit. Und nun verändert der Roman auch seine Struktur. Nun erzählt nicht mehr Leila die Geschichten aus der Vergangenheit, nun befinden wir uns mit ihren Freunden inmitten eines waghalsigen Abenteuers. Das kann man mögen oder auch nicht. Ein klein wenig hanebüchen fand ich den Roman gegen Ende schon. Aber das sei der Autorin verziehen.

Elif Shafak hat selbst türkische Wurzeln, lebt aber schon lange nicht mehr dort. Sonst könnte sie auch nicht so schreiben wie sie es tut. Erfrischend modern und direkt prangert sie Missstände und Widersprüche der türkischen Kultur und Traditionen an. Ein falsches Ehrgefühl, das den Mord an Leila und sehr viel Leid zuvor überhaupt erst möglich gemacht hat. Vor allem aber tut sie das unglaublich eindringlich und fesselnd. Auch nach einem langen Arbeitstag kann man das Buch kaum weglegen, vor Spannung ob der Schicksale dieser armen Menschen. Diese sind manchmal kaum zu ertragen, unendlich traurig. Aber sprachlich immer top.

Es wird viel von Kultur und Bräuchen der Türkei vermittelt, allerdings immer die Seite der Opfer des Systems betrachtend. Elif Shafak verleiht durch Leila den Ausgestoßenen ihre Stimme. 

Sehr empfehlenswert! 5 Sterne