Rezension

Die Brücke zur Welt

Westwind -

Westwind
von Samatha Harvey

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Jahr bevor Kolumbus Amerika entdeckte und die bekannte Welt sich plötzlich um ein Vielfaches erweiterte, ist das Exotischste in Oakham der einfache Nachbau eines Beichtstuhls, so wie ihn Thomas Newman auf seiner Reise in Rom beobachtete. In Oakham hat man es sonst nicht so mit dem Reisen, es fehlt das Geld dafür. Nur Newman als reichster Einwohner des Dorfes konnte sich diese Pilgerreise erlauben. Nun war Newman tot, seine Leiche mit dem Fluss verschwunden und dem Dorfpriester John Reve saß der Dekan im Nacken, der unbedingt einen Schuldigen für dieses Unglück finden wollte.

Es gibt sicherlich schönere Jahreszeiten für einen Besuch in Oakham im Jahre 1491, doch Samantha Harvey hat sich für vier Tage Erzählzeit im ausgehenden Winter entschieden. Dauerregen, ein Fluss, der über seine Ufer tritt und zum wiederholten Male die neugebaute Brücke mit sich reißt. Mich fröstelt es unweigerlich beim Lesen und ich gehe im Geiste den Inhalt meines Schuhschrankes durch, um mich meiner Gummistiefel zu vergewissern. Alles ist so feucht, klamm und verzogen an diesem Ort. Die Leute so verstockt, krank, arm und für meine aufgeklärten evangelischen Augen merkwürdig gläubig und abergläubisch zugleich. John Reve als Geistlicher scheint neben Thomas Newman einer der Fixpunkte der Gemeinde zu sein und ist außerdem die Stimme der Geschichte, die er rückwärts erzählt.

Dieses Dorf wirkt etwas abseitig. Es scheint nur eine Richtung in die Welt außerhalb Oakhams zu geben. Alle anderen Richtungen werden durch den Fluss blockiert. Das Brückenprojekt ist für Oakham so vergleichbar wie Kolumbus Pläne einen Seeweg nach Indien zu finden. Kolumbus entdeckt Amerika und Oakhams Brücke wird vom Hochwasser erneut fortgespült. Eine bleierne Hoffnungslosigkeit steckt in diesen Seiten und eine Einsamkeit in ihren Figuren, besonders nachdem Newman verschwunden ist. Das Gleichgewicht der Dorfgemeinschaft ist durch den Verlust Newmans völlig durcheinandergeraten.

Es ist beeindruckend wie genau sich Samantha Harvey in diese Zeit einfühlen kann, wie detailliert sie die Sitten und Gebräuche beschreibt, so dass mir von dem ungewohnten religiösem Gebaren in seiner profanen Redundanz ganz schwindlig wird. Ich bin überfragt mit dieser Geschichte, weiß nicht ganz, wohin sie mit mir gehen will, wie ich sie und ihre Figuren interpretieren soll. Ob ich interpretieren soll? Am Ende des Buches, der mit dem Beginn der Geschichte schließt, habe ich das Gefühl, etwas übersehen zu haben, etwas nicht richtig verstanden, falsch interpretiert zu haben. Aber ich komme nicht drauf und hänge gedanklich fest in diesem kalten, nassen Dorf am Rande der Welt, in dem es vor allem für John Reve an Wärme, Trost und Hoffnung mangelt.