Rezension

Die Frage nach der amerikanischen Identität

American Gods - Neil Gaiman

American Gods
von Neil Gaiman

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt:

Drei Jahre Gefängnis neigen sich dem Ende zu für Shadow. Er plant, in sein altes Leben zurückzukehren und keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch wenige Tage vor seiner Entlassung stirbt seine Frau Laura bei einem Autounfall und Shadow steht vor dem Nichts. Doch noch während seiner Heimreise bietet ihm der mysteriöse Mr Wednesday einen Job an - und der ist alles andere als gewöhnlich ...

Hinweis: Bei diesem Buch handelt es sich um die Version, die Verlag und Autor zum zehnjährigen Jubiläum herausgegeben haben, die 12000 Wörter länger ist als die erste und viele Passagen enthält, die in der ersten Ausgabe gekürzt wurden, womit Neil Gaiman aber anscheinend nie ganz zufrieden war. Meine Rezension bezieht sich also auf diese längere Ausgabe und ich konnte beim Lesen nicht unterscheiden, was in der ersten Ausgabe rausgefallen ist.

Meine Meinung:

Das Buch hat eine etwas ungewöhnliche und individuelle Erzählweise, mit der vermutlich nicht jede*r klarkommt – hier wie immer der Tipp, einfach mal in die Leseprobe reinzulesen.
Insgesamt ist das Buch sehr ruhig – was auch an dem Protagonisten liegt– und sehr ausschweifend. Wer actiongeladene Fantasy mit epischen Kämpfen und atemraubender Spannung sucht, ist hier jedenfalls fehl am Platz. Über viele Seiten passiert oft scheinbar nichts Aufregendes. Wenn auch vielleicht etwas langsamer wird der Plot jedoch stets vorangebracht, und wenn man genauer reflektiert, gibt es durchaus einige Szenen, in denen was passiert – nur ist die Stimme des Protagonisten so ruhig, dass man eben nicht mit Herzrasen durch die Zeilen hetzt.

Shadow ist gerade aus dem Gefängnis herausgekommen und sein einziges Charaktermerkmal, so scheint ist, sind Münzentricks. Ansonsten ist Shadow aber so aussagelos und blass wie ... nun, ja, ein Schatten. Fast teilnahmslos erzählt er die Geschichte, lässt keine großen Emotionen durchscheinen, nimmt alles hin und begegnet den Dingen, die ihm widerfahren, quasi mit einem gleichgültigen Achselzucken. Allerdings – und das ist der Punkt an dem Ganzen – ist das durchaus so gewollt. Es gehört quasi zu Shadows Charakter, dass er keinen hat, und das wird im Verlaufe der Story dann auch durchaus thematisiert.

Ich fand es super interessant, dass man auch Gestalten abseits der bekannten Mythen kennenlernt – afrikanisch, zum Beispiel, oder slawisch. Die Umsetzung ist hier eher ungewöhnlich, ich will aber da nichts weiter vorwegnehmen.
Ansonsten ist aber auch die Migration in die USA das zentrale Thema. Die verschiedenen Migrationsströme in die USA, unter Berücksichtigung ihrer oft menschenverachtenden Umstände (Stichwort Kolonialismus und Sklaverei), werden abgebildet, die vielen verschiedenen Herkunftskulturen thematisiert und ein bisschen zieht sich die Frage durch das Buch, was denn die moderne amerikanische Kultur jetzt ausmacht.

Man begegnet in dem Buch einer Reihe sehr eigentümlicher Charaktere. Und obgleich man viele nur oberflächlich kennenlernt, hatte ich doch das Gefühl, dass sie einzigartig sind und eine gewisse Tiefe verbergen, dass sie alle irgendwie individuell sind.
Trotz der eher ruhigen Erzählart konnte mich das Buch aber auch fesseln, auf seine ganz eigene, subtile Art und Weise. Und auch einige Plot Twists gerade zum Ende hin vermochten mich persönlich zu überraschen.

Fazit: Ungewöhnlicher, sehr gelassener Erzählstil, der auch durch den gewollt teilnahmslosen Protagonisten erzielt wird, dennoch auf subtile Weise fesselnd. Dabei wird die Frage nach amerikanischer Identität gestellt und verschiedene, auch sonst eher weniger thematisierte Mythen sowie Migration in die USA spielen eine Rolle.