Rezension

Die Gedanken sind frei?

Kallocain - Karin Boye

Kallocain
von Karin Boye

Bewertet mit 3 Sternen

Karin Boye entwirft in Kallokain eine dystopische Welt, in der die Überwachung fast allumfassend ist. Selbst im eigenen Zuhause wird man ständig von Polizeiauge und -ohr überwacht. Eine Haushaltshilfe hat nach der Arbeit Bericht zu erstatten, was in der Familie passiert und die Kinder werden so früh wie möglich auf einen künftigen Nutzen für den Staat gedrillt. Denn der Staat ist wichtiger als der einzelne Bürger.

Leo Kall arbeitet in diesem perfekt organisierten Kosmos als Chemiker in Chemiestadt Nr 4. Und er hat etwas erfunden, dass seinen geliebten Staat noch sicherer machen wird: Eine Droge nämlich, die jeden die Wahrheit sagen lässt. Jede Verschwörung ließe sich damit im Keim ersticken! Doch was Anfangs nach einer perfekten Erfindung klingt, erweist sich schon sehr bald als weitaus gefährlicher als gedacht. Denn welcher Bürger eines Unterdrückerstaates kann sich schon von kritischen Gedanken freisprechen?

Die Grundidee dieses Roman ist furchtbar interessant. Boye beschreibt recht anschaulich, wie jemand auf die absurde Idee kommen kann, etwas zu erfinden, das ihn doch auch selbst ins Verderben stürzen kann. Etwas, das den letzten privaten Raum auslöscht der noch existiert. Aber die Indoktrination ist so allumfassend, dass diese Schlussfolgerung erst viel zu spät kommt. Und wenn niemand niemandem vertraut, ist die Versuchung einer Wahrheitsdroge einfach zu verlockend.

Sprachlich fand ich den Roman leider etwas schwergängig. Der im Nachwort gepriesene sprachliche Unterschied mit und ohne Kallokain war eher marginal. Das hätte man durchaus deutlicher machen können. Auch war es mir oft zu unkonkret was die „Geständnisse“ oder Kalls Gefühle, Befürchtungen und seltsame Träume anging. Andererseits war seine schleichende Erkenntnis wieder sehr gelungen beschrieben aber so richtig wollte der Funke bei mir trotzdem nicht überspringen.

Kallokain ist eine grundsätzlich gekonnt erzählte Geschichte mit einer wirklich interessanten wie zeitlosen Idee, zu der jeder Dystopie-Fan getrost greifen kann. Besonders erfreulich ist es, dass hier mal ein Klassiker einer weiblichen, schwedischen Autorin die Zeit überdauert hat. Ich hatte leider trotzdem meine Schwierigkeiten mit dem Roman und war letztlich nicht ganz so begeistert, wie ich es mir erhofft hatte.