Rezension

Die Kraft der Vergebung

Die zweifelhafte Miss DeLancey - Carolyn Miller

Die zweifelhafte Miss DeLancey
von Carolyn Miller

Bewertet mit 5 Sternen

„...Er hatte gesehen, wie Männer aufgaben, Männer im Krieg, Männer, die ins Meer geschleudert worden waren, Männer, die keine Kraft mehr hatten, wenn Schmerzen oder schwere Wunden ihnen das Leben aussaugten. Aber er hatte nie jemanden aufgeben sehen, der gesund war...“

 

Wir befinden uns im England des Jahres 1815. Clara DeLancey, gerade 25 Jahre alt, hat die Niederlagen ihres Lebens vor Augen. Sie steht nahe an der Klippe am Meer und kommt plötzlich ins Straucheln. Benjamin Richard Kemsley, ehemaliger Kapitän zur See, rettet sie. Die obigen Gedanken stammen von ihm.

Die Autorin hat einen tiefgründigen historischen Roman geschrieben. Die Geschichte lässt sich flott lesen.

Clara ist in einer gutsituierten adligen Familie groß geworden. Sie war der Star so mancher Ballsaison in London. Doch als der Mann ihrer Träume eine andere heiratete, war sie plötzlich nicht mehr gefragt. Ihre Mutter träumt noch immer von einer adligen Hochzeit. Sie sieht arrogant und überheblich auf andere Menschen herab. Claras Vater ist wesentlich toleranter und weltoffener.

Benjamin hat nach einem Unfall seinen Titel aberkannt bekommen. In der Gesellschaft allerdings gilt er als Held. Gern lässt man sich seine Erlebnisse erzählen. Dabei ist er bodenständig geblieben. Dazu trägt auch seine Familie bei. Seine Schwester Matilda hat einen Geistlichen geheiratet. Sie ist eine fröhliche und aufgeschlossene junge Frau. Das folgende Zitat zeigt ihren feinen Humor.

 

„...Ich rede mal mit ihm über die Predigten. Er glaubt, er müsse die Themen wählen, die der Bischof vorschreibt, aber wenn er das beibehält, werden die Kirchenbänke sich schneller lehren als eine Flache Rum...“

 

Clara lernt Matilda in der öffentlichen Bibliothek kennen. Unbefangen hat diese sie angesprochen, ein Verhalten, dass in Claras Kreisen nicht üblich ist. Die junge Frau tut Clara gut. Plötzlich hat Clara eine Gesprächspartnerin, die ihre Gefühle ernst nimmt. Gleichzeitig begreift sie, das es andere Dinge im Leben gibt als nur Vergnügungen. Beide führen tiefgründige Glaubensgespräche. Matilda macht Clara Mut.

 

„...Ich weiß, dass Gott Sie liebt und dass seine Pläne für Sie gut sind...“

 

In Rückblicken erfahre ich sowohl, wie es zu Bens Unfall kam, als auch, was bisher in Claras Leben schief gelaufen ist. Daran hatte ihre Mutter einen wesentlichen Anteil. Momentan tut sie alles, um Clara die Begegnungen mit Matilda zu verbieten. Und das zarte Pflänzchen Zuneigung zwischen Clara und Ben ist ihr erst recht ein Dorn im Auge. Der junge Mann ist nicht standesgemäß.

Deutlich dargestellt, wird die Verlogenheit der besseren Gesellschaft. So schnell, wie man ganz oben ist, so schnell wird man fallengelassen und ist nur noch für Klatsch und Tratsch gut. Beziehungen sind nur oberflächlich und werden von jetzt auf gleich gelöst.

Eingebettet in die Handlung sind bezaubernde Naturbeschreibungen:

 

„...Der Himmel leuchtet in Myriaden von Farben: tiefes Violett, das in zartes Rosé verschmolz, über einem gedämpften Orange, und darunter, unmittelbar über dem Horizont, ein sanftes Grün...“

 

Berührend finde ich Claras stille Zwiesprache mit Gott. Es sollte für sie zu einem Wendepunkt werden. Sie begreift, dass Vergebung ihr eine neue innere Freiheit schenkt. Dabei lernt sie auch, sich von den Ansprüchen ihrer Mutter abzunabeln.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist eher eine leise Geschichte, auch wenn spannende Momente nicht fehlen.