Rezension

Die Totenfrau

Mitgift -

Mitgift
von Henning Ahrens

Bewertet mit 5 Sternen

Gerda Derking hat im Dorf lange Jahre als Totenfrau gearbeitet. Nun im August 1962 meint sie, es sei an der Zeit, die Tätigkeit den Bestattern zu überlassen. Doch als Bauer Leeb von nebenan sie bittet, ein letztes Mal ihres Amtes zu walten, sagt sie nicht nein. Sie ahnt voller Trauer, wer verstorben sein könnte. Zunächst jedoch heißt es warten. Gleichzeitig wird über mehrere Generationen die Familiengeschichte der Familie Leeb erzählt. Ein besonderer Akzent auf den beiden Weltkriegsgenerationen und der Generation der Kinder liegt. Wie in vielen Familien gibt es auch in dieser Streit und Zwietracht und ihre Mitglieder sind doch den familiären Zwängen gefolgt.

 

Nicht immer in chronologischer Reihenfolge erzählt, aber doch beginnend mit dem Bau der jetzt noch genutzten Hofgebäude, bietet dieser Roman einen mitreißenden Abriss über das Familiengefüge der Leebs. Welcher Druck lastete auf dem Hoferben, nicht alle strebten danach, ihr Dasein als Bauern zu fristen. Allerdings ging die Familienräson regelmäßig vor und Träume mussten begraben werden. Dass Wilhelm Leeb als Nazi in den Krieg zog und als Nazi wiederkehrte, hat das Leben auf dem Hof nicht einfacher gemacht. Seine drei Kinder leiden unter ihm und jedes reagiert anders auf seinen Despotismus. Käthe, die Frau, erweckt den Eindruck, als habe sie sich schon lange aufgegeben.

 

Wenn man als Leser oder Leserin die Wirren des vermaledeiten zweiten Weltkrieges eher aus Geschichtsbüchern kennt, weil in den Familien wenig darüber geredet wurde, ist dieser Roman wie eine kleine Offenbarung. Gerade als hätte der Autor zusammenrecherchiert, was Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern nicht erzählen wollten. Natürlich ist es eine spezielle Familiengeschichte, die erzählt wird, aber sicher kann sie für viele stehen. Die Brüche der Familie, die Zwänge, denen man sich gebeugt hat, es wird auf irgendeine Art dazu geführt haben, dass Wilhelm Leeb der wurde. Auch er musste sich beugen, doch er hat keine Demut entwickelt. Er hat Schuld auf sich geladen und seine Wut an den Schwachen ausgelassen. Wieso waren sie so, wieso hat sich keiner gewehrt. Solche Fragen sind sicher in etlichen Familien aufgetaucht. Beantworten kann sie ein Roman nicht, aber er gibt ein authentisches Bild, wie es in den Familien bis in die frühen Nachkriegsjahre gelaufen sein könnte. Ein packender Roman, dessen Lektüre nur empfohlen werden kann.