Rezension

Die Welt unter uns

Im Unterland - Robert Macfarlane

Im Unterland
von Robert Macfarlane

Bewertet mit 5 Sternen

Bestimmt habe ich es schon hier und da erwähnt: ich stehe auf Unterirdisches! Ich liebe es, abzutauchen, da wo keine Sonne mehr scheint. Ich freue mich, dunkle, kühle Höhlen zu entdecken. Ich brenne darauf, die Gänge unter der Stadt zu erkunden und mich durch schmale Spalten zu quetschen, in der Hoffnung, dahinter eine neue Welt zu finden. Allerdings bin ich ein ziemlicher Schisser, betagt und ungelenk und ein wenig Klaustrophobie schlich sich auch irgendwann in mein Gemüt. Meine Abenteuer erlebe ich also nur mit Hilfe der schreibenden Zunft, und "Im Unterland" durfte ich bei einigen davon dabeisein.

Ob in Slaz- und Kalistollen unter der See, im Untergrund von Paris, in slowenischen Karsthöhlen, oder in den schmelzenden Gletschern hoch im Norden, wohlbehütet im Lesesessel, faszinierte mich Macfarlane mit seinen sehr anschaulichen Beschreibungen der Begebenheiten, aber auch der Gefahren, die sich ergeben, wenn man an diese Orte gelangen will. Selbst mit modernster Schutzausrüstung und Lageplan, sind die Risiken nicht zu unterschätzen und mit jedem Schwierigkeitsgrad wächst das Erstaunen, dass es offensichtlich unsere Vorfahren aus der Steinzeit trotzdem geschafft haben, an unzugänglichen Orten ihr Leben an die Wand zu bannen, mit Zeichnungen von Tieren, Jagdszenen, oder einfach nur Handabdrücken.

Der moderne Bergbau, menschengewollt und -gemacht, birgt dagegen so seine ganz eigenen Herausforderungen. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass Salz fließt, wogegen Kali eher bricht, und beides wahrscheinlich nicht geeignet ist, unseren Atommüll die nächsten 10.000 Jahre zu beherbergen. Wenn ich das richtig verstanden habe, beschäftigt sich die Menschheit schon seit Urzeiten mit dem Untergrund, vergräbt, befördert und versteckt Dinge darin, doch weiß sie in den wenigen Jahren der Raumfahrt mehr über den Mond, als von unserem Erdinnern.

Aber ganz so tief muss man ja nicht hinabsteigen, um dem hektsichen Treiben auf dem Asphalt den Rücken zu kehren. Manchmal reicht ein Gullydeckel, oder der versteckte Seitengang im stillgelegten Tunnel und unversehens trifft man auf "Abtrünnige", mit ihren ganz eigenen Regeln und Gepflogenheiten. Stellvertretend werden hier die Katakomben von Paris aufgesucht, aber eigentlich gibt es sie in vielen großen und kleineren Städten, die Parallelgesellschaften. Sie machen Angst, aber geben auch Hoffnung, dass es trotz widrigster Umstände irgendwo weitergehen kann. (Siehe Ukraine-Krieg und die Katakomben von Odessa und Mariupol.)

Macfarlane hat all diese Orte besucht und sehr eindrücklich davon geschrieben. Seine Metaphern sind anschaulich, seine Gedanken nachvollziehbar und ich könnte noch zig weitere hundert Seiten davon lesen, ohne mich zu langweilen. Meine Leidenschaft wurde vollends und auf vielfältige Weise bedient. Mich hat dieses unterhaltsame und lehrreiche Buch begeistert.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 29. April 2022 um 07:49

Eine mega Rezension: da ich dein Faible für die Unterwelt nicht so teile, bin ich nicht so interessiert, aber nach der Rezi könnt man es glatt werden.Ich mag Meer und Weltall.