Rezension

Don Quijote in Amerika

Die unglaubliche Reise des Smithy Ide - Ron McLarty

Die unglaubliche Reise des Smithy Ide
von Ron McLarty

Bewertet mit 3.5 Sternen

Smithy Ide, Anfang 40, Raucher, Trinker, übergewichtig, lebt sein Leben ohne viel darüber nachzudenken. Zuviel musste er schon erleben: wie seine Schwester Bethany immer wieder eine „Stimme“ hörte und schließlich davonlief und verschwand, wie das Nachbarmädchen Norma nach einem Unfall im Rollstuhl saß und er sich nie mehr traute, sie zu besuchen oder seine Erlebnisse im Vietnamkrieg. Auch über seinen stupiden Job in einer Spielzeugfabrik denkt er besser nicht nach.

 

Jetzt, im Sommer 1990 muss Smithy erneute Schicksalsschläge verkraften: seine Eltern sterben nach einem Verkehrsunfall und er entdeckt einen Brief in der Tasche seines Vaters. Darin teilen ihm die Behörden in Los Angeles mit, dass man die Leiche von Bethany Ide gefunden hätte und sie abgeholt werden könnte zur Bestattung. Smithy schwingt sich in einer Kurzschlusshandlung auf sein altes Jugendfahrrad und fährt los. Er weiß nicht, was er sonst tun soll außer Radfahren, von Rhode Island bis nach L.A.

 

„Die unglaubliche Reise des Smithy Ide“ ist ein Road Trip, diesmal nicht mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad. In einem Land, in dem kaum jemand Rad fährt. Zum Glück spielt die Geschichte vor 30 Jahren, ich weiß nicht, wie Smithy in dem Verkehr heutzutage voran kommen würde.

Wie in den meisten Road Trip Geschichten, ähnlich wie in „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ gibt es eine Geschichte aus der Vergangenheit, die der Protagonist durch seine Reise bewältigt.

Bei Smithy ist dies vor allem der Umgang der Familie mit Bethanys psychischer Erkrankung. Abwechselnd erzählt Autor Ron MyLarty von der Gegenwart und von der Vergangenheit. Von verschiedenen Ärzten, Klinikaufenthalten und der Suche nach Bethany, wenn diese wieder einmal verschwand. Smithy liebt seine Schwester, möchte ihr helfen und denkt, wie seine Eltern, dass es eine Heilung gibt. Doch auch er muss erkennen, dass er machtlos gegenüber der „Stimme“ ist. Dadurch, dass er sich für Bethany aufopfert, hat Smithy kein wirklich eigenes Leben und trudelt ins Trinken. Die Folgen eines psychisch kranken Familienmitglieds für eine Familie hat der Autor meiner Meinung nach gut und wertfrei dargestellt. Die Verzweiflung aller Beteiligten, auch von Bethany, war greifbar. Manches war hart, manches schwer zu glauben. Das empfand ich als sehr authentisch.

 

Smithys Reise quer durch Amerika war sehr gut dargestellt. Ron McLarty beschreibt Smithys Geschichte gut und unspektakulär. Mir gefiel seine Reaktion, als er nach jahrelangem Fast Food-Konsum das erste Mal wieder eine Banane isst und wie er immer sicherer auf dem Rad wird. Auch die verschiedenen Menschen, die er trifft und die ihre eigene Geschichte erzählen, haben mir überwiegend gut gefallen. Smithy ist ein sozial unsicherer und eher unscheinbarer Mensch, der nicht für sich eintritt, daher ergeht es ihm zweimal schlecht, als er von der Polizei für einen Landstreicher oder Schlimmeres gehalten wird. Insgesamt war er mir sympathisch.

 

Norma stellt Smithys Verbindung zur Vergangenheit dar. Norma versucht, sich und Smithy einzureden, wie selbstständig und selbstbewusst sie trotz ihrer Behinderung ist, doch zwischen den Zeilen liest man etwas anderes heraus. Im Zusammenhang mit Norma muss ich auch die einzige Kritik loswerden: sie hat leider eine sehr passive Rolle und auch ihre Zuneigung zu Smithy nach Jahren ohne Kontakt war etwas unglaubwürdig.