Rezension

Ein Augenöffner. Muss man lesen!

Die Wokeness-Illusion -

Die Wokeness-Illusion
von

Bewertet mit 5 Sternen

Kurzmeinung: Einige sehr kluge Beiträge zur Debatte um Wokeness.

Ja, was soll ich sagen? Dieses Buch hat mir klargemacht, dass es sich bei der Wokeness-Bewegung um eine waschechte Ideologie handelt, deren Vorzüge und Nachteile dringend breitbandig diskutiert werden müssten. Aber dies ist nicht der Fall und von den Vertretern der Wokness her nicht einmal gewünscht. Die neue Ideologie, die mit der Identitätsphilosophie eng verflochten ist, wünscht keine Auseinandersetzung, sondern sucht Anhänger. Zitat aus dem Vorwort: „Wenn jemandem etwa das Recht abgesprochen werden soll, überhaupt seine Meinung zu artikulieren, nur weil er nicht einer bestimmten Minderheit angehört, ist eine Diskussion nicht mehr möglich“.  

Der Herausgeber stellt acht kurze Essays vor, die sich mit dem Phänomen der Wokeness-Ideologie und deren Auswirkungen auf die Gesellschaften, mit besonderem Blick auf Deutschland, beschäftigen. Der Usprung dieser Ideologie liegt schon in den 1970igern Jahren begründet als der französische Autor Michel Foucault das Buch „Surveiller et Punir“ (Überwachen und Bestrafen) auf den Markt warf. 

Die Wokenessbewegung ist eng verwoben mit der Identitätsbewegung bzw. dem Identitätsbegriff, der - in Kürze und im Kern - fragt, was macht einen Menschen aus? Wird er bestimmt durch äußere Merkmale oder kann ein Mensch sich durch mentale Tätigkeit vollkommen selbst setzen, das heißt, „frei“ bestimmen, wer und was er sei. Michel Foucault selbst wechselte seine Identitätszuschreibungen ständig – in der letzten Ausprägung seiner Thesen gelangt man zum Genderfluidum, jeder kann sein, was er will und führt unter anderem zum für 2023 geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampelregierung, das besagt, dass durch einen einfachen Sprechakt auf dem Amt jeder sein Geschlecht selbst festlegen könne. Was im ersten Moment liberal-progressiv klingt, unterhöhlt letztlich den Freiraum, den sich Frauen in einem jahrhundertelangen Kampf erworben haben und worum sie immer noch ringen, und das deshalb, weil sich ihnen nun eine Gruppe biologischer Männer anschließen könnte, die sich als Frauen „fühlen“ und dementsprechend Schutzräume für Frauen mitbesetzen wollen/können. Alice Schwarzer wirft Queer- und Transaktivisten vor, Frauen unsichtbar machen zu wollen, indem sie diese neuerdings unter FLINTA subsumieren, was für „Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Trans- ud Agenderpersonen“ stehen soll. "Eine vergleichbare Schublade gibt es für Männer übrigens nicht", sagt Ben Krische. 

Wie dem auch sei, die woke Brille teilt die Welt in gut und böse ein, wobei die Woken definieren, wer gut ist. 

Beängstigend ist die These von Alice Hasters, dass nur „die Weißen Rassisten sein können, weil sie allein von ihrer eigenen Vorherrschaft profitieren“ und dass Rassismus nicht mehr an eine reale Tat durch eine Person gebunden und gesehen wird, sondern als Kollektivschuld. Letztlich hieße das, jeder Weiße ist ein Rassist. Der Gedanke der Sippenhaft und der Kollektivschuld aber trägt selbst einen faschistischen Kern in sich.
Die Theorie des strukturellen Rassismus: „ist jedoch nicht in erster Linie eine Theorie mit Wahrheitsanspruch, sondern war und ist ein Kampfinstrument gegen die ungerechtfertigte Benachteiligung Nicht-Weißer“, ein Hilfsmittel, das im politischen, berechtigten Kampf für die Rechte Schwarzer in den USA entstanden ist. Aber in Deutschland/Europa haben wir andere Verhältnisse, sagt Matthias Brodkorb und weiter: „Es handelt sich um einen Rückfall hinter die Errungenschaften der Aufklärung, um einen Absturz in die Ideologie des Rassismus“. Und woher kennen wir eine Rassenideologie? Vom Nationalsozialismus: ganz gefährlicher Boden also. 

Was mich persönlich verstört, ist die Faktengleichgültigkeit der Bewegung: Es kommt nicht mehr darauf an, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Gut, bis zu einem gewissen Grad ist das immer schon so gewesen; aber die Wokisten treiben es zum Exzess!

Behandelt wird natürlich auch die Sprachverschlimmbesserung durch die Genderbewegung, die von einem Erziehungsgedanken (wir müssen das Volk umerziehen, woher kennen wir das bloß) getragen ist sowie andere, ökonomische Gesichtspunkte wie das Wokewashing. Bedeutet: du bist gut, wenn du dieses woke Produkt kaufst, das keinen rassistischen Namen trägt, aber seine Mitarbeiter ausbeutet. Es ist eben leichter und eine intellektuelle Spielerei, in die Sprache einzugreifen (oder es zu wollen) als real existente wirtschaftliche Bedingungen zu verändern und etwa die Paygap zwischen den Geschlechtern zu schließen, denn bei ersterem kann man in seinem Elfenbeinturm sitzen bleiben, bei letzterem muss man heruntersteigen und sich in die Niederungen der Realpolitik begeben, mit seinen spezifischen Erfolgen und eben solchen Niederlagen! 

Einen Blick auf die gängige Praxis der Cancel Culture wird ebenso geworfen wie die Opfermentalität unsere Tage angesprochen wird. Empörungskultur, wohin man schaut. Wer fühlt, hat recht. Fakten spielen kaum noch eine Rolle. Ich kann nicht umhin in der ganzen Bewegung einen Rachegedanken zu entdecken, vor allem, da schon häufig, im nachhinein als ungerechtfertige Behauptungen entlarvt, diese Cancel Culture Jobs und Ansehen anderer Menschen zerstörte. 

Fazit: Man darf indes diesen kritischen Beitrag zur Wokeness-Ideologie nicht missverstehen. Die Autoren sind nicht der Meinung, dass Rassimus gut sei und auch keineswegs dagegen, im Alltag Sensibilität zu entwickeln, was wohl notwendig gewesen ist, jedoch beschäftigen sie sich mit den Auswüchsen eines Anliegens, das, ursprünglich legitim, zu einer die Gesellschaft spaltenden Ideologie mit eigenen rassistischen Zügen geworden ist. Muss man lesen! 

Kategorie: Sachbuch. Politik und Gesellschaft
Verlag: Cicero, 2023

Kommentare

Emswashed kommentierte am 12. März 2023 um 16:21

Ich bräuchte schon nur für das Wort "Wokeness" einen jugendlichen Übersetzer. Deine Rezi ist spannend und anregend.

Steve Kaminski kommentierte am 14. März 2023 um 18:03

Danke für Deine ausführliche Rezi! - Das Buch von Frau Hasters habe ich jetzt nicht mehr so im, Kopf, ist lange her,. dass ich es gelesen habe. Ich weiß, dass ich vieles einleuchtend fand, dass für mich aber teils Rassismus und Insensibilität ineinader übergingen, in ihrer Darstellung.

Wenn ich es richtig mitgekriegt habe, geht es beim Gesetz der Ampel nicht darum, beliebig das eigene Geschlecht zu bestimmen, sondern darum, dass Menschen, die wissen, dass sie sich in ihrem Geschlecht nicht wohlfühlen, bürokratische Vorgänge und peinliche Befragungen erspart bleiben.

Bei den Auswüchsen fällt mir ein, dass bei jenem Gedicht, das eine junge Schwarze bei Bidens Amtseinführung (war es da?) vortrug, die Übersetzung einer jungen weißen Frau zurückgezogen wurde. (Ich weiß jetzt nicht, ob es dabei blieb.)

wandagreen kommentierte am 14. März 2023 um 18:17

"beliebig das eigene Geschlecht zu bestimmen, sondern darum, dass Menschen, die wissen, dass sie sich in ihrem Geschlecht nicht wohlfühlen, bürokratische Vorgänge und peinliche Befragungen erspart bleiben" - was auf dasselbe hinausläuft.

Steve Kaminski kommentierte am 19. März 2023 um 18:35

Nö - das sehe ich anders. M. E. sollte man dieses Empfinden genauso ernst nehmen wie "rein Biologisches" im Sinne der Geschlechter männlich/weiblich. Es ist genauso vorhanden und, wenn man es religiös ausdrücken will, genauso gottgegeben.

wandagreen kommentierte am 19. März 2023 um 18:53

Darum gehts doch nicht. Gute Absichten reichen nicht. Man muss Gesetze absichern.

Denn Gesetze kann man missbrauchen. Also müssen sie so abgefasst sein, dass ein Missbrauch möglichst ausgeschlossen ist. Und das ist es nicht beim Selbstbestimmungsgesetz in der jetztigen Fassung. Die Problematik scheint ja auf, sogar Alice Schwarzer hat sie gesehnen - und das will was heissen xD.

Ich meine, ich habe versucht, die Problematik einzufangen in der Rezi.

Gefühle sind ausserdem wankelmütige Geschöpfe, heute hier morgen da. In der Juristerei haben Gefühle eigentlich nix zu suchen, da gehts rein um Fakten.