Rezension

Ein grandioses Debüt und Highlight des Jahres

Miracle Creek - Angie Kim

Miracle Creek
von Angie Kim

Ich fand die Leseprobe schon vielversprechend und interessant, aber dass es mich letzten Endes so dermaßen abholen würde, hätte ich nicht gedacht. Das wirklich wunderschöne Buch bzw. Cover trägt nur einen kleinen Teil dazu bei, aber ich muss sagen: Es ist echt ein richtig, richtig schönes Buch!

Zum Inhalt lässt sich gesagt sein, dass ich nie gedacht hätte, dass das Angie Kims erstes Buch ist. Der Schreibstil ist fantastisch, flüssig, leicht zu lesen und doch eher gehoben, aber ich - aufgrund einer chronischen Erkrankung starke Konzentrationsprobleme und dementsprechend manche Schwierigkeiten habend, wenn der Schreibstil z.B. arg viele Fremdwörter enthält, eher altmodisch (auch wenn's soo schön ist!) oder schwierig geschrieben wurde – kam wunderbar damit zurecht und die Seiten flogen nur so dahin, fühlt sich dennoch einfach „reif und erwachsen“ an und man merkt, dass diese Autorin ihren Beruf versteht. Er passt hervorragend zu der doch sehr ernsten Geschichte, auch wenn Kim hin und wieder, wenn auch selten, noch ein paar Sätze einstreut, die einen auch in den ganzen bedrückenden Szenen sogar kurz zum Schmunzeln bringen.

Kim vermischt hier in diesem Buch sehr Vieles: Rassismus gegenüber koreanischen Einwanderern, Einblicke in die koreanische Kultur (da sie selbst eine koreanische Einwanderin ist, gehe ich davon aus, dass diese, wenn auch manchmal tatsächlich etwas klischeehaften, Einblicke authentisch sind), teilweise Kindesmisshandlung (oder eben auch nicht?) und das Leben von Müttern mit behinderten (hier vor allem autistische) Kindern, völlig authentisch, gute sowie vor allem auch schlechte Seiten, ihre Liebe und Hingabe, aber auch ihren täglichen Kampf und ihre Opfer, die sie dafür bringen, ohne auch nur ansatzweise zu urteilen, zusätzlich bringt sie noch das Thema der HBO-Therapie (eine Sauerstoff-Therapie) ein, mit der sie selbst Erfahrung hat, und zeigt auch auf, dass diese Therapie teilweise umstritten ist; all das noch paniert mit einer schönen Prise Gerichtsdrama, was ich persönlich sehr gerne mag. Das klingt nach sehr vielen Themen, finde ich, doch verwebt sie alle so wunderbar, so authentisch miteinander, dass alles absolut perfekt miteinander harmoniert.

Die Charaktere bekommen alle eine gewisse Tiefe, manche mehr, manche etwas weniger, da Angie Kim immer in der 3. Person, aber aus den verschiedenen Sichten der verschiedenen Charaktere schreibt. Man fühlt mit, man lernt, man bekommt Einblicke in die verschiedenen Welten und findet man einen der Charaktere erst einmal noch eher blöd, oder denkt, diese Person ist schuldig, sie hat es nicht anders verdient, der Fall sei doch klar, kommen einem spätestens im Abschnitt dieser Person ihre Zweifel, bekommt Mitleid, überdenkt doch nochmal alles, bringt Verständnis auf... Wir werden im Buch ständig mit anderen Sichtweisen konfrontiert. Und stimmt man mit einer zu, kann es sein, dass man die ganz andere Sichtweise dann auch nachvollziehen, man überdenkt doch nochmal, ob man seine eigene Sichtweise nicht doch nochmal anpassen soll.

Ob der Fall klar bleibt oder doch noch eine Überraschung auf einen wartet, mag ich nicht verraten, aber es lohnt sich so oder so. Viele Wendungen, viele Geheimnisse, die ans Licht kommen, die immer alles hin und her werfen und bei denen die Verdachte dann teilweise von Kapitel zu Kapitel wieder wechseln. Man kann sich nie sicher sein, wer es letzten Endes war (wirklich die Angeklagte? Oder doch jemand völlig anderes?) und es bleibt spannend und interessant bis zum Schluss.
Das Buch findet zeitlich vor allem während des Prozesses statt, die Autorin bietet aber auch viele Rückblicke auf Geschehenes im vergangenen Jahr oder teilweise noch früher und bettet sie alle wunderbar ein.

Ich musste teilweise wirklich mehrmals innehalten, einen Moment durchatmen, einfach nur, um den Gedanken „Oh mein Gott, das ist SO gut!!“ in Ruhe fertig zu bringen.
Definitiv ein Highlight meines Jahres!