Rezension

Ein Großstadtroman über die Gesellschaft Japans

Der Bergmann - Natsume Soseki

Der Bergmann
von Natsume Soseki

Der Bergmann ist aufgrund seiner gesellschaftskritischen Haltung und dem Bezug zur japanischen Hauptstadt Tokio dem Genre Großstadtroman zuzuordnen. Die Geschichte über den 19-jährigen namenlosen Jungen, der sich aus Tokio aufmacht um zu sterben, hat mich von Anfang an fasziniert. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive des jungen Mannes. Sein innerer Monolog und seine intensive gedankliche Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Leben, lassen den Leser unmittelbar an der Figur teilhaben. Gleichzeitig werden dadurch Einblicke in seine Überzeugungen zugelassen, aber auch in seine Ängste und Unsicherheiten.

Sobald man schläft, verschwindet die Zeit. Jeder, für den der Fluss der Zeit eine Qual ist, sollte schlafen. Sterben ist allen Anschein nach ähnlich. Es scheint so einfach und ist doch ziemlich schwierig. (S. 58)

Obwohl man über die Vorgeschichte des jungen Mannes weitestgehend im Unklaren gelassen wird, sind seine Zerrissenheit und sein Wunsch nach Suizid durch seine philosophischen Gedanken greifbar. Immer wieder bezieht er Erlebtes auf den eigenen Geist oder Körper und philosophiert bspw. über den Charakter des Menschen, über die Konsistenz des Herzens, über menschliche Tränen oder das abgestumpfte Bewusstsein.

Kurz, ich hatte die Absicht, an einen dunklen Ort zu gehen, genauer gesagt war ich gezwungen, aber beim geringsten Anlass ergriff ich die erstbeste Gelegenheit, in dieser mir vertrauten Welt zu bleiben. (S. 28-29)

Interessant fand ich vor allen Dingen, wie unentschlossen der Protagonist ist, was sein eigenes Leben anbelangt. Ständig will er aus seinem eigenen Fluchtversuch ausbrechen und dem Todeswunsch entkommen, um ihn dann ein ums andere Mal wieder zu verfolgen. Sōseki ist mit Der Bergmann ein fesselndes, literarisches Werk gelungen, das trotz weniger Handlungsstränge und eines abrupten Endes vollkommen wirkt. Der Protagonist, der sich nach Dunkelheit sehnt, erkennt in derselben, dass das Leben lebenswert ist.

In dieser Situation wurde mein Schicksal mehr durch äußere Umstände als durch meinen eigenen Charakter bestimmt. Bei solchen Gelegenheiten rutscht mein Charakter dabei oft unter das Durchschnittsniveau. Wieder einmal ein besonders glänzendes Beispiel von vielen dafür, wie mein in langer Zeit im Selbstvertrauen aufgebauter Charakter in sich zusammenstürzte. (S. 176)

Sōsekis unterschwellige Kritik an den Zuständen im Bergwerk und die harten Lebensbedingungen der Bergmänner, die sich in ihren ausgemergelten Gesichtern widerspiegeln, haben mich sehr angesprochen. Seine Darstellung der Welt unterhalb der Erdoberfläche ist so eindrücklich, dass die Enge und das Gefühl eingesperrt zu sein erschreckend realistisch wirken. Sprachlich schafft es der Autor, durch detailgenaue, bildhafte Beschreibungen und prägnante, eindrückliche Sätze, die Wahrnehmung des Protagonisten lebendig wirken zu lassen. Spannende Höhepunkte in der Geschichte sind jedoch nicht vorgesehen, aber genau aufgrund dieser Andersheit konnte mich Der Bergmann überzeugen.

Fazit & Bewertung

Der Bergmann von Natsume Sōseki ist ein Großstadtroman, der die bürgerliche Gesellschaft Japans zum Thema nimmt und anhand eines Einzelschicksals deutlich macht. Spannende Handlung ist in diesem Roman von Anfang an nicht vorgesehen, trotzdem sind die Gedanken und Wahrnehmungen des namenlosen Protagonisten so packend, dass man Höhepunkte nicht vermisst.

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