Rezension

Ein Hauch von Provence im heimischen Wohnzimmer

Das Honigmädchen - Claudia Winter

Das Honigmädchen
von Claudia Winter

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt
Eine rebellische Teenagerin und ein unerträglich selbstgefälliger Schriftsteller sind nicht gerade die angenehmsten Begleiter für eine geschäftliche Reise in die Provence. Eine andere Wahl hat Camilla allerdings nicht, schließlich ist das vorlaute Mädchen ihre Tochter Marie und der ach so coole Typ neben ihr ihr Nachbar Tobias. Gut, letzter hat sich selbst zur Reise eingeladen, ließ sich aber partout nicht abwimmeln. Als Camilla endlich in dem malerischen Loursacq ankommt, sind ihre Nerven bereits zum Zerreißen gespannt. Der wenig freundliche Empfang von Imker Henri Lambert tut sein Übriges. Doch je länger Camilla in Loursacq verweilt, desto mehr verfällt sie dem Charme des kleinen Örtchens - und dem Mann, den sie zu Beginn der Reise am liebsten aus dem Auto geworfen hätte.

Meine Meinung

In einem Interview mit dem Thalia-Magazin hat Claudia Winter vor kurzem gesagt, ihr ginge es im Leben und in ihren Romanen um die Zwischentöne.
Genau das spürt man bei ihrem neuesten Werk "Das Honigmädchen" wieder sehr deutlich: Im Fokus ihrer Geschichten stehen immer ganz klar die Charaktere, die sie erschafft, ihre Gedanken, ihre Emotionen - und wie sie diese kommunizieren. Entscheidend ist eben nicht immer, was sie sagen und wie, sondern auch, was sie nicht sagen, aber durch Handlungen und Gesten zu verstehen geben. Autoren und Autorinnen, die es schaffen, eben jene Zwischentöne so zu Papier zu bringen, dass ich am Schicksal der Figuren Anteil nehme, benötigen meiner Meinung nach i.d.R. keinen actiongeladenen Plot.
Die Liebe zu den Charakteren (Camilla, Marie, Tobias, Henri), die aus jeder Silbe herausklingt, ist letzlich das, was den Zauber von "Das Honigmädchen" für mich ausmacht. Dadurch habe ich beim Lesen nicht das Gefühl, fiktive Figuren vor mir zu haben, die außerhalb der Geschichte kein Leben haben, sondern reale, lebendige Menschen, die mir auf der Straße begegnen könnten - eine Vorstellung, die mir sehr gut gefällt (auch wenn mir Maries Kratzbürstigkeit wohl früher oder später sämtliche Nerven rauben würde). Das erzeugt Nähe und Empathie, was ich als ausgesprochen wichtig erachte. Nichts vermiest mir mein Lesevergnügen mehr, als Charaktere, die mir beim Umblättern der letzten Seite noch immer fremd sind. Bei Camilla und Co. war das definitiv nicht der Fall. Der Grund, warum "Das Honigmädchen" in meiner persönlichen Claudia-Winter-Rangliste nicht Platz 1 einnimmt, ist u.a., dass, obwohl ich das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Camilla und Tobias genossen habe, sie doch nicht ganz die Dynamik à la Fabrizio und Hanna ("Aprikosenküsse") oder Sebastian und Claire ("Die Wolkenfischerin") hatten. Es ist zwar nicht ganz fair, sie überhaupt miteinander zu vergleichen, aber das lässt sich nun mal schwer vermeiden. Auch der Konflikt bzw. das angespannte Verhältnis zwischen Camilla und ihrer Tochter Marie hätte für meinen Geschmack noch ein wenig mehr ausgereizt werden können. Ebenso hätte ich gerne noch viel mehr über Camillas Ex-Mann erfahren (eine Konfrontation wäre grandios gewesen!). Aber abgesehen davon war ich mit sämtlichen Charakteren und Entwicklungen sehr zufrieden.
Weiterhin muss ich, wie bei ihren früheren Romanen*, auch bei "Das Honigmädchen" wieder Claudia Winters Talent loben, die Atmosphäre und Mentalität des Handlungslandes (hier Frankreich, speziell die Provence) einzufangen und zum Leser/zur Leserin zu transportieren - oder ihm/ihr eine gedankliche Reise dorthin zu ermöglichen. Wenn Camilla, Tobias und Marie vor summenden Bienenstöcken stehen oder auf kleinen Straßenmärkten unterwegs sind, ist man mit ihnen vor Ort. Und man fühlt sich nicht wie ein Tourist auf der Durchreise, man hat vielmehr das Gefühl, dort richtig anzukommen. Für jeden, der gerne fremde Länder und Kulturen kennenlernt, ist das einfach nur fantastisch!
Last but not least, muss ich nochmal den wahnsinnig tollen Schreibstil erwähnen. Ich mag den angenehmen Rhythmus beim Lesen, die originelle, gelegentlich sehr poetisch anmutende Wortwahl, die integrierten französische Ausdrücke, die dem Ganzen einen exotischen Flair verleihen, und die wunderschönen Vergleiche wie "Ihre ungewöhnlichen Augen erinnerten Camilla an einen nächtlichen Teich, auf dessen Oberfläche ein Ölfilm aus Melancholie schwamm." (S. 220) Ganz ehrlich: Wer von euch hat da bitte schön kein anschauliches Bild vor Augen?
 
Mein Fazit

"Das Honigmädchen" besticht wieder durch malerische Landschaften, bei denen mich die Reiselust packt, und authentische Charaktere sowie Claudia Winters Wortgewandtheit, dank der sich die Szenen wie ein Film in meinem Kopf abgespielt haben. Genau deswegen lese ich ihre Romane so gerne und war daher auch von ihrem vierten Werk in keinster Weise enttäuscht.

 

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