Rezension

Ein Leben

Am Strom (eBook) - Killen McNeill

Am Strom (eBook)
von Killen McNeill

Bewertet mit 2 Sternen

Ein aufrechtes Leben, eine intakte Familie, eine sinnvolle Arbeit, die wahre Liebe und das große Glück: Kann man das haben? Das ganze Paket? 1968, in einer bewegten Zeit des Aufbruchs, als alles möglich scheint, verbringen vier Jugendliche idyllische Tage auf einer Insel beim Donaudurchbruch. Die Aktivität in der Linken Schülerfront verbindet Jens, Erwin, Jelly und Else, und nun, da die Abiprüfungen hinter ihnen liegen, zelten sie am Fluss, spinnen Zukunftspläne am Lagerfeuer, genießen die freie Zeit – und die Liebe. Zwei von ihnen werden heiraten, ihr Heil in Ehe und Familie suchen. Einer wird alles daran setzen, seinen linken Idealen treu zu bleiben. Und einer wird auf der Insel sterben. Es wird fünfundvierzig Jahre dauern, Lebensträume werden zerrinnen und Beziehungen scheitern, bis die anderen drei sich auf der Donauinsel wieder treffen. Erst jetzt wird offenbar, was damals wirklich geschah. Ein Roman über die Liebe, das Älterwerden, den Versuch, das Leben mit Anstand zu führen. Und über einen bayerisch-fränkischen Jedermann mit seinem hartnäckig und listenreich geführten Kampf gegen das Scheitern.

Dieses Buch ist eine Reise. Eine Reise durch ein Leben. Das Leben von Hans Jellineck, genannt Jelly. Diese Reise beginnt mitten im Aufbruch. Den Schulabschluss in der Tasche. Eine Zeit in der man so unbedingt jemand sein möchte, ohne dabei zu wissen wer man eigentlich ist. Man möchte weltgewandt, aber vor allem anders sein. Anders als die Eltern, anders als „das Normale“, anders als der Alltag, anders als die Mehrheit. Man hält unfassbar viel auf seine eigene Meinung, breitschultrig und mit gerecktem Kinn. Aber eigentlich schaut man doch verunsichert links und rechts von sich, auf der Suche nach Vorbildern, denen man nacheifern kann. 
Man durchlebt mit Jelly die Phasen seines Lebens bis er ein Rentner ist. Ein alter Mann, dem man über die Straße hilft oder dem man im Bus seinen Platz anbietet. Und während des Lesens fragt man sich wie das passieren konnte? Wie konnte aus diesem jungen Jelly, in dem man so viel von sich selbst wiedererkannt hat ein alter Mann werden? Was ist passiert? Das Leben! Killen McNeill zeigt mit leisen Tönen wie laut sich ein Leben verändern kann, wie man selbst manchmal verzweifelt versucht in seinem eigenen Kosmos zurechtzukommen und seinem eigenen Leben immer ein paar Schritte hinter her hinkt. „Am Strom“ zeigt, dass man sich verändert, sich verliert und sucht. 

Die zentrale Figur in „Am Strom“ ist Jelly, der als Ich-Erzähler die Rechnung seines Lebens schreibt. Was hatte ich, was habe ich, was ging verloren, was musste ich teilen, was hat mich vervielfältigt. Eine Haben- und eine Hatte-Spalte. Und am Ende, unterm Strich erhält er eine Summe. 
Beim Lesen habe ich mit Jelly ein Tauziehen geführt. Von Zeit zu Zeit hatte er eine solche Kraft, dass er mich zu sich gezogen hat. Angezogen. Aber dann habe ich mich wieder von ihm distanziert, habe Boden zurück gewonnen und bin wieder auf mein Terrain zurück gewichen. Verständnis und Unverständnis. Akzeptanz und Wut. 
Jelly ist wie eine Medaille mit zwei Seiten. Eine Seite, die strahlt und auf Hochglanz poliert ist. Auf dieser Seite ist er unglaublich charmant, er hat diesen bissigen Humor, der ziemlich entwaffnend und irgendwie anziehend ist. Dieser analytische Blick mit dem er die Kleinstadtidylle und ihre ganzen Protagonisten wie ein Ikea Regal auseinander legt. Ich mag ihn in den Momenten, in denen er einfach brutal ehrlich ist. Das schockiert, aber es ist so aufrichtig, so echt, so unbeschönigt! 
Die Rückseite ist abgestumpft, hat schon ein paar Macken und Kratzer. Wenn Jelly diese Seite von sich zeigt, dann habe ich ihn manchmal als sehr anstrengend empfunden, er neigt zur Übertreibung im positiven wie im negativen und für mich ist er unglaublich unsicher. Müsste ich Jellys Leben einen Titel geben, dann würde ich es mit „Die Suche nach Anerkennung“ umschreiben. Und wenn das gierige Verlangen von Anerkennung in einem lodert, dann ist es meistens nicht weit mit der Eifersucht. 

Mit "Am Strom" ist es wie mit einem guten Whiskey. Je länger man wartet, desto besser schmeckt er. Ich glaube ich muss wie der Whiskey noch etwas reifen, um mich von dem Buch vollkommen angesprochen zu fühlen. Die Geschichte ist reif. Der Protagonist ist reif an Erfahrungen, reif an Alter, reif an Enttäuschungen und Fehlern. Im Moment fehlt mir diese Reife, der Erfahrungsschatz und das Alter, um in Jelly und seiner Geschichte vollkommen abtauchen zu können.