Rezension

Ein Leben im Schatten des Vaters

Die Tochter des Malers - Gloria Goldreich

Die Tochter des Malers
von Gloria Goldreich

Bewertet mit 4 Sternen

Eine Romanbiografie - steht in der Beschreibung und tatsächlich erfährt man detailreich vieles aus dem Leben der Familie Chagall, deren Mittelpunkt und Fixstern Marc ist. Ehefrau Bella und Tochter Ida stellen ihr Leben ganz in den Dienst des Künstlers und das ist durchaus wörtlich zu nehmen.  Marc Chagall reagiert wie ein verwöhntes Kind, wenn nicht alle seine Wünsche sofort erfüllt werden. Gleichzeitig fehlt im die Empathie für seine Mitmenschen, woran ganz besonders seine Tochter Ida, die Hauptperson dieses Romans leidet.
Ida war Modell für viele seine Bilder, wurde von der Mutter zu Hause erzogen und hatte nie gleichaltrige Spielgefährten. Zwar wurde sie noch Weißrussland geboren, aber die Chagalls haben nach den ersten nachrevolutionären Progromen das Land verlassen und nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin, ihren Wohnsitz in Paris genommen, damals auch das Zentrum der Künstler. Marc hat bereits erste Erfolge als Maler und das ermöglicht einen komfortablen Aufenthalt. In dieser Umgebung wächst Ida behütet auf, erst ein Ferienlager für jüdische Jugendliche bietet ihr einen ersten Aufenthalt außerhalb der Familie. Fast zwangsläufig verliebt sie sich in den fast gleichaltrigen Michel. Ein Jahr der Briefwechsel und kurzen Treffen in Paris folgt bis es bei den nächsten Sommerferien zu einem Wiedersehen kommt. Ida wird schwanger und zum ersten Mal mit der Realität des Lebens konfrontiert, denn ihre Eltern reagieren äußerst kaltherzig und zwingen Ida zu einem Schwangerschaftsabbruch und dann, um die Ehre wiederherzustellen, zur Heirat mit Michel, den sie allerdings aus Standesdünkel ablehnen und nie in die Familie aufnehmen.  Besonders Marc Chagall, dem der äußere Schein und Reputation besonders wichtig sind, lässt das junge Paar seine Abneigung spüren.
Inzwischen erreichen die Nachrichten vom Aufstieg der Nazis und von den ersten Gräueltaten der SS auch Paris, viele Juden bemühen sich um eine Ausreise, nach Palästina,den USA oder in andere sichere Staaten, auch Michel und Ida versuchen die Chagalls dazu zu bewegen. Aber Marc weigert sich lange, er hält sich allein durch seinen Namen für unantastbar und blendet völlig aus, dass auch in Frankreich bereits die Übergriffe zunehmen.  Letztendlich gelingt es Ida, die Ausreise noch zu ermöglichen und bringt später unter vielen Mühen, einen Großteil des Werks in den USA in Sicherheit. Marc verlässt sich immer mehr auf seine Tochter, Bella Chagall kränkelt und stirbt kurze Zeit nach der Übersiedlung. Ida ist nun Muse, Haushälterin, Kuratorin, Managerin ihres äußerst anspruchvollen Vaters, das ihre Ehe daran scheitert, ist unausweichlich.
Diese Zeit und die weiteren Jahre an der Seite ihres Vaters schildert die Autorin ausführlich. Aber auch in diesem Roman ist Ida nicht die Hauptperson, symbiotisch ist sie mit ihrem Vater verbunden, sie fühlt sich gefesselt, kann sich aber auch nicht lösen und will sich nicht lösen. Als ihr Vater in Virginia Haggard-McNeal eine Geliebte findet, bestimmt sie weiterhin den Haushalt und beansprucht den Platz an seiner Seite. Man weiß nicht, ob man Ida bedauern oder ablehnen soll. Bedauern, weil sie ein Leben aus zweiter Hand lebt, aufgezwungen durch Erziehung und den Charakter Marc Chagalls; ablehnen, weil sie keine Anstrengung unternimmt, sich zu lösen, sie die Fesseln des anspruchvollen Vaters durchaus genießt.  Idas Persönlichkeit bleibt in diesem Roman undefiniert, es ist mehr ein Buch über Chagall und seine Bilder geworden. Aber vielleicht ist das gerade das, was die reale Person der Ida Chagall spiegelt.
Gloria Goldreich beschreibt detailliert und mit Gespür für die Zeit die Kunstszene der 30iger, 40iger Jahre. Die Eifersüchteleien der Künstler, die sich misstrauisch beäugen, die Welt der Kunstsalons und Ausstellungen. Ich hätte allerdings gern noch mehr über die ältere, unabhängige Ida erfahren, die endlich ihre eigene Familie gründete und sich aus dem Schatten des Vaters löste, aber das kommt deutlich zu kurz. Auch für die Autorin existiert Ida nur in Verbindung mit ihrem Vater Marc Chagall.