Rezension

Ein Leben ohne Wurzeln

Der Zug der Waisen
von Christina Baker Kline

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Molly ist 17, als sie zur Ableistung von Sozialstunden verdonnert wird. Als Pflegekind, das von Familie zu Familie weitergereicht wird, hat sie es nicht leicht im Leben. Als sie bei der 91-jährigen Witwe Vivian den Speicher entrümpeln soll, freunden sich die beiden Frauen - jung und alt - bald an. Die Gegenstände auf dem Speicher wecken Erinnerungen in Vivian, die sie mit Molly teilt.

Meine Meinung:
Christina Baker Klines Roman basiert auf einer wahren Begebenheit. Zwischen 1854 und 1929 wurden über 200.000 verwaiste, verlassene und heimatlose Kinder in den sogenannten „Orphan Trains“ von den Städten der Ostküste der USA in den Mittleren Westen gebracht, wo sie eine neue Familie finden sollten. Zum Teil gelang dies auch, aber besonders die älteren Kinder wurden oft als billige Arbeitskräfte missbraucht.

Vivian ist neun Jahre alt, als sie 1929 in ihre erste Pflegefamilie vermittelt wird. Sie erfährt wenig Liebe und ihr Leben ist hart. Doch sie lernt sich anzupassen und sich durchzukämpfen. Ihre Erlebnisse in der Vergangenheit werden in der Ich-Form erzählt und wirken sehr authentisch. Die Darstellung ist so intensiv, dass mir war, als würde ich einen Film sehen und nicht ein Buch lesen. Die Erzählung fesselte mich stark, sie berührte mich und machte mich traurig und wütend.

Im Handlungsstrang der Gegenwart liegt das Hauptaugenmerk auf Molly, die mal wieder Probleme mit ihrer Pflegefamilie hat. Durch die Parallelen in ihrem Leben entwickeln die beiden trotz allem so verschiedenen Frauen schnell Verständnis füreinander. Beide wissen, was es heißt, ohne Wurzeln aufzuwachsen, nicht zu wissen, wohin man gehört. Die Autorin beweist hier enormes Gespür, dies gefühlvoll, aber nicht kitschig darzustellen.

Das Ende ist vielleicht ein bisschen zu sehr heile Welt, passt aber gut und bildet einen gelungenen Abschluss dieses beeindruckenden Romans. Erwähnenswert sind auch noch die historischen Fotos und entsprechende Erklärungen im Anhang, die die Handlung abrunden.