Rezension

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ein Märchenbuch wird Wirklichkeit

Das Schneemädchen - Eowyn Ivey

Das Schneemädchen
von Eowyn Ivey

Bewertet mit 4 Sternen

Dieser wundervolle Debütroman von Eowyn Ivey beginnt mit dem Ehepaar Jack und Mabel, das auf Mabels Wunsch nach Alaska ausgewandert ist, nachdem ihr Kind bei der Geburt gestorben ist und sie die Menschen und Kinder um sich herum nicht mehr ertragen konnte. Doch aus ihrem Wunsch, ihrem Partner bei gemeinsamer Arbeit  in der entlegenen Gegend wieder näher zu kommen, scheint nichts zu werden, weil dieser die Gesellschaft anderer Leute vermisst und ohne ihr Wissen eine Einladung zum Besuch bei einer anderen Farmersfamilie annimmt.

In einem Anfall kindlicher Unbeschwertheit fängt Mabel an einem Abend eine Schneeballschlacht an, die im Bau eines Schneemädchens mit Schal und Handschuhen und allem drum und dran gipfelt. Als das Schneemädchen am nächsten Tag verschwunden ist und bald darauf ein kleines, schüchternes Mädchen mit den Handschuhen und dem Schal auftaucht, wissen die beiden nicht so recht, was sie glauben sollen, da niemand in der Gegend solch ein Mädchen zu kennen scheint.

Als der Schnee schmilzt und das Mädchen verschwindet leidet das Paar wieder jeder für sich. Um sich ein Märchenbuch schicken zu lassen, aus dem ihr Vater ihr als Kind vermeindlich vorgelesen hat, schreibt Mabel ihrer Schwester einen ersten Brief, dem viele weitere folgen werden.
In dem Märchenbuch geht es um ein älteres Ehepaar, das einen Schneemann baut, der dann lebendig wird. Anhand der Bilder und Informationen ihrer Schwester rekonstruiert sie die genaue Geschichte und ist sich sicher, dass das Mädchen wiederkommen wird. Eine Überzeugung die Jack keinesfalls teilt.

Sie kommt mit dem ersten Schnee tatsächlich wieder und verschwindet mit seinen letzten Resten im Frühjahr. So genießen sie jeden Winter mit ihrem kleinen Mädchen, das immer kommt und geht wie sie möchte. Sowohl Jack als auch Mabel schwanken in dieser Zeit in ihrer Überzeugung, ob sie nun menschlich ist oder doch eher nicht.

Während Jack eines Sommers mit verrenktem Rücken das Bett hüten muss, bekommt Mabel Hilfe von den entfernt lebenden Nachbarn.  Deren jüngster Sohn zieht zu ihnen auf den Hof, hilft mit Rat und Tat bei allen arbeiten und gehört schon richtiggehend zur Familie, als er das erste Mal auf das Mädchen trifft. Er verliebt sich sofort in sie und sucht ihre Nähe, obwohl ihr das anfangs gar nicht gefällt. Dass sich die beiden näher kommen macht auch Mabel Sorgen, weil es zu ihrem Märchenbuch passt und sie Angst hat, das Mädchen - wie in dem Buch - zu verlieren.

Als das Mädchen schließlich wirklich für immer verschwindet, sind beide verzweifelt, als ihnen klar wird, dass sie wie eine Tochter für sie war und sie wieder ein Kind verloren haben. Im Unterschied zum ersten Verlust teilen sie diesmal ihr Leid und entfernen sich  so zumindest nicht von einander.

Besonders in Gedanken geblieben ist mir einer der letzten Absätze des Buches. Auf Seite 446 heißt es: "Der Kummer erfasste Mabel mit solcher Macht, dass sie nur schluchzen konnte, ohne einen Ton, ohne ein Wort, geschüttelt von einer Qual, die zu überleben sie für unmöglich gehalten hätte, wenn sie ihr nicht schon einmal widerfahren wäre. Sie weinte bis ihr Inneres hohl und leer war, wischte sich mit den Fingerspitzen übers Gesicht und setzte sich auf den Stuhl, in der Erwartung, dass Jack hinausgehen und sie allein lassen würde. Doch er kniete sich vor sie, legte seinen Kopf in ihren Schoß, und sie hielten einander, teilten das Leid eines alten Mannes und einer alten Frau um den Verlust ihres einzigen Kindes."

So abgedroschen es auch klingt, das Leben geht weiter, selbst wenn man es sich in diesem Moment tiefsten Leids nicht vorstellen kann.

(Ich bin daran gescheitert hier passend weiterzuschreiben. Meine Gedanken rasen zu sehr. Deshalb nur so viel: Ich fand das Buch ganz wundervoll - nur eben den Schluss nicht. Ich steh nicht so auf Verlust.)