Rezension

Ein Stück Familiengeschichte

Das Tal der Orangen - Béatrice Courtot

Das Tal der Orangen
von Béatrice Courtot

Bewertet mit 4 Sternen

„...Eine Art Instinkt sagt mir, ich soll die Heimat meiner Vorfahren aufsuchen. Ich begebe mich nicht nur auf Spurensuche nach Magdalenas Vergangenheit, sondern nach einem Teil meiner eigenen Identität. Es ist, als würde ich meine Wurzeln ausgraben...“

 

Bei Bauarbeiten in einem Marseiller Hotel im Jahre 2016 findet man eine Blechdose. Sie enthält ein Foto und ein Rezeptbuch.

Anais führt das Cafè der Familie in Paris weiter. Da bekommt sie die Nachricht, dass man Dokumente ihrer Urgroßmutter gefunden hat. Anais kann sich noch gut an die alte Dame erinnern. Doch die Heimat ihrer Vorfahren war Mallorca, nicht Marseille. Wie ist Magdalena nach Marseille gekommen?

Die Autorin hat einen spannenden Roman geschrieben. Was im ersten Moment wie eine lockerleichte Sommerlektüre klingt, ist weit mehr. Die Reise führt Anais in das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Mallorca. Das obige Zitat stammt von Anais. Sie sagt es zu ihrer besten Freundin.

Der Schriftstil lässt sich gut lesen. Außerdem passt er sich den Gegebenheiten der Geschichte an. Zwei Handlungsstränge wechseln sich regelmäßig ab. Zum einen darf ich als Leser Anais bei ihrer Recherche begleiten, zum anderen verfolge ich das Leben von Magdalena, beginnend im Jahre 1935.

Anais, die Protagonistin, wird gut charakterisiert. Sie hat sich als Geschäftsfrau einen Namen gemacht und bietet in ihrem Cafè mit Ensaimadas eine besondere Spezialität an, die von ihren Vorfahren aus Mallorca stammt. Sie ist alleinstehend und kann mit den Kupplungsversuchen ihrer Freundin nichts anfangen.

Die Reise nach Mallorca führt sie nach Söller ins Tal der Orangen. Sehr anschaulich mit treffenden Metaphern wird die Landschaft und der Ort beschrieben.

 

„...Die Einwohner hatten ihren Ort in eine Augenweide aus Farben und Dekorationen verwandelt, die aus Orangenschalen und ganzen Früchten gefertigt worden waren Boote und Körbe aus kleinen orangen Farbtupfern wirkten wie pointillistische Gemälde...“

 

Als sich Anais in Mallorca nach ihrer Urgroßmutter erkundigt, kommen die alten Damen ins Erzählen. Doch mit dem Jahre 1937 ist plötzlich Schluss. Anais` Gesprächspartner begründen das so:

 

„...Verstehen Sie, die Bewohner der Insel haben beschlossen zu vergessen. Die beiden gegnerischen Lager haben entschieden, in die Zukunft zu sehen und ihre Differenzen beizulegen...“

 

Nicht nur die Landschaft der Insel, auch ihre Sitten und Gebräuche werden mir vermittelt, sei es das Fest des heiligen Antonio oder das Orangenfest. Selbst die einheimischen Gerichte werden nicht vergessen. Als Besonderheit beginnen einige Kapitel des Buches mit einem kursiv abgedruckten Rezept. Manch Legende wird eingeflochten, so diese:

 

„...Der Legende zufolge hat eines Tages ein Gastwirt eine Scheibe Schinken auf die Gläser gelegt, damit keine Fliegen hineinfallen. Und die Tapas waren geboren...“

 

Ganz anders liest sich Magdalenas Geschichte. Kurz nach ihrer Hochzeit beginnt auf Mallorca der Bürgerkrieg. Er führt nicht nur zu Hunger und Not, er trennt die Menschen. Aus ehemaligen Freunden werden Feinde. Die Unbeschwertheit der Jugend ist vorbei. Als Francos Soldaten die Oberhand gewinnen, kommt es zu Massenmorden.

Magdalena findet Menschen, die ihr auch in schwerer Zeit zur Seite stehen. Mehr möchte ich zu diesem Teil des Buches nicht schreiben. Die Geschehnisse muss man beim Lesen auf sich wirken lassen.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist eine gekonnte Mischung aus Gegenwart und Vergangenheit.