Rezension

ein unerwartetes Highlight

Seeing what you see, feeling what you feel -

Seeing what you see, feeling what you feel
von Naomi Gibson

Bewertet mit 5 Sternen

"Seeing what you see, feeling what you feel" ist mein Unerwartetes Lesehighlight des Jahres. Ich hab mir von diesem Buch nicht übermäßig viel erwartet, das Thema Künstliche Intelligenz ist ja inzwischen vielfach aufgegriffen und in allen möglichen Szenarien verarbeitet worden. Dieses Buch betrachtet das Thema Ki aber von einer viel emotionaleren Seite und stellt die Frage in den Raum, was passiert, wenn eine KI lernt zu lieben.

Zum Inhalt: Als Lydia vor 18 Monaten bei einem tragischen Autounfall ihren kleinen Bruder Henry verlor und als Folge des Unfalls und der physischen und emotionalen Belastung auch ihren Vater und ihre beste Freundin, ist sie ganz allein. Ihre Mutter vernachlässigt sie, echt Freunde hat sie auch keine und so steigert sie sich in das gemeinsame Herzensprojekt, welches sie mit ihrem Vater verband- die Erschaffung einer KI. Knapp 1,5 Jahre nach dem Unfall ist es so weit, dass die KI mit Namen Henry eigenständig handeln und Entscheidungen treffen kann. Und schnell ist sie Lydia mehr als nur ein Hobby. Sie wird zu einem Freund und Gefährten, der immer mehr Platz in Lydias Leben einnimmt- bis ihr alles über den Kopf wächst und Lydia sich die Frage stellen muss: Sind ihre Gefühle für Henry echt? Und kann eine KI lieben?

Das Thema des Buches finde ich total interessant, schließlich beschäftigen sich Wissenschaftler und ITler immer mehr mit den Fragen der künstlichen Intelligenz, autonomen Lernen und Bewusstsein von Maschinen. Da stellt sich ja schon auch mal die Frage, ob Maschinen auch Gefühle erlernen bzw. entwickeln können. Und sollten sie ein Bewusstsein entwickeln und Gefühle besitzen- sind sie dann noch Maschinen?

Lydia hat echt ein hartes Los gezogen im Leben, das Verhalten ihrer Mutter finde ich absolut unverständlich und ungerechtfertigt. Sie lässt sich selbst gehen und vernachlässigt ihre Tochter, das einzige Kind und die einzige Familie die ihr noch geblieben ist. Und Lydia ist daheim und in der Schule so isoliert, dass sie sich in die digitale Welt und zu ihrem digitalen Freund Henry flüchtet. Die Beziehung der beiden hat eine interessante Dynamik, der man als Leser gut folgen kann. Die Entwicklung ihrer Beziehung ist ganz natürlich und anfangs sehr spielerisch, steigert sich aber schnell und nimmt am Ende eine dramatische Wendung. Das ist im Buch fantastisch umgesetzt wie ich finde. 

Das Buch ist gut geschrieben und flüssig zu lesen. Die Spannung nimmt gegen Ende immer mehr zu, sodass ich regelrecht mitgefiebert habe, ob es den beiden möglich ist, einen Ausweg aus der gemeinsam geschaffenen Misere zu finden. Vor allem Henrys Entwicklung habe ich dabei mit großer Begeisterung verfolgt, der ähnliche Lernprozesse durchmacht wie ein Kind. Zwischendurch habe ich mich immer mal gefragt, wie genau Henry bestimmte Dinge bewerkstelligt, aber wahrscheinlich wollte man hier nicht zu sehr in die technischen Details gehen. Grundlegende Vorgänge wurden in meinen Augen hinreichend erklärt um logisch zu erscheinen, auch wenn man sich nicht in der Hacker- und KI-Szene auskennt. 

Das Buch hat mir wirklich gut gefallen und ich habe es im Laufe eines Tages gelesen. Es bietet viele Ansätze zum Thema künstliche Intelligenz, die mich neugierig gemacht haben, sodass ich mich weiter in bestimmte Bereiche einlesen möchte, um mehr Hintergrundinformationen zu bekommen. 
Ein tolles Buch, dass ich gerne weiterempfehle!