Rezension

Eine sehr bewegende Geschichte

Wer ist Edward Moon? - Sarah Crossan

Wer ist Edward Moon?
von Sarah Crossan

Inhalt:
Zum ersten Mal seit zehn Jahren bittet Edward seinen kleinen Bruder Joe in einen Brief darum, ihm einen Besuch abzustatten. In einer Todeszelle in Texas wartet Edward auf seine Hinrichtung. Nun steht der Termin fest. Noch zwei Monate sind es, die ihm Zeit bleiben, um Abschied zu nehmen. Zwei Monate in denen es noch eine Hoffnung auf Besserung zu geben scheint. Wird es gelingen, in letzter Sekunde im Instanzenzug eine Aufschiebung oder sogar Begnadigung zu erwirken?
Der Vorwurf gegen Ed wiegt schwer. Er soll vor Jahren einen Polizisten erschossen haben. Doch während Ed seine Unschuld beteuert, glauben ihm nicht mal seine engsten Verwandten. Die Tante ist überzeugt, dass Ed den Mord begangen hat. Joe merkt, dass ihm immer häufiger Zweifel überkommen. Dennoch zögert er keinen Moment, als ihn der Brief des Bruders erreicht. Er packt seine Sachen und fährt nach Wakeling, um seinem Bruder einen letzten Wunsch zu erfüllen.

Im Detail:
Bei „Wer ist Edward Moon?“ handelt es sich um ein Jugendbuch, das ein düsteres Bild der US- amerikanischen Gegenwart zeichnet. Es geht um einen Jungen, der wegen einer Tat, von der er behauptet, sie nicht begangen zu haben, im Todestrakt einsitzt. Zwei Monate sind es, bis das Urteil vollstreckt werden soll.
Man hat nie das Gefühl, sich inmitten einer leichten, unbeschwerten Lektüre für Kinder zu befinden. Detaillierte Schilderungen einer Hinrichtung und das Leid bzw. die Ängste, die sowohl Edward als auch seine Familie durchstehen müssen, lassen mich zu der Einschätzung gelangen, dass dieses Buch eher für die Zielgruppe „erwachsene Leser/innen“ geeignet ist.
Sarah Crossan erzählt die Geschichte ihres Buches aus der Perspektive des kleinen Bruders von Edward Moon. Joe ist in einer Familie ohne Vater aufgewachsen. Die Mutter schaut den lieben langen Tag lang Dauerwerbesendungen im Fernsehen. Sie geht nicht mehr zur Arbeit und nimmt Tabletten. Für Joe war sein großer Bruder eine enge Bezugsperson. Fast so etwas wie ein Vaterersatz. Nur kam Edward nie wirklich gut mit der Mutter zu Recht. Irgendwann musste die Situation eskalieren. Edward verlässt das elterliche Haus. Später tut es ihm die Mutter gleich, Joe bleibt zurück mit seiner Schwester und seiner Tante, die die Kinder unter einem strengen Regime aufzieht.
Als bekannt wird, dass Edward einen Mord an einem Polizisten begangen haben soll, wird dieses Geschehen in der Familie totgeschwiegen. Joe hört Jahre nichts von seinem großen Bruder. Als dann ein Brief von ihm eintrifft, muss Joe erst einmal seine Gedanken ordnen.
Was ist damals wirklich passiert? War Edward so unschuldig, wie er behauptet? Gibt es für den Bruder überhaupt noch eine Rettung? Drei Instanzen können ihn vor der Todesstrafe bewahren, doch ohne Geld und ohne den Anspruch auf einen Pflichtverteidiger kann Edward den Rechtsmittelweg nicht beschreiten. Joe und seine Schwester haben selbst kaum Geld, um über die Runden zu kommen. Dennoch zögert Joe keine Sekunde und macht sich auf die Reise, um Edward seinen Wunsch zu erfüllen und ihn im Todestrakt zu besuchen.
Sarah Crossan schreibt ihren Roman in einem gewöhnungsbedürftigem Schreibstil. Schon beim Aufklappen des Buches fällt auf, dass die Geschichte optisch wie ein Gedicht aufgebaut ist. Die Sätze reimen sich jedoch nicht und lesen sich wie eine klassische Geschichte weg.
Als Joe in Wakeling eintrifft, lernt er einen gottverlassenen Landstrich kennen. Die Hoffnung, dass Edward seiner Hinrichtung entgehen kann, ist nicht allzu groß. Hinzu kommt die Angst vor der Entfremdung durch die Zeit der Trennung, die das erste Wiedersehen der Brüder überschattet.

Fazit:
Sarah Crossan schickt den Leser in „Wer ist Edward Moon?“ auf eine atemlose Tour de Force durch verpfuschte Leben. Das Buch zieht den Leser mitten ins düstere Geschehen. Wie soll, wie kann man Abschied nehmen, wenn eine Behauptung im Raum steht, die man zwar verneinen, aber nicht widerlegen kann?
Die Geschichte ist deshalb weniger eine unterhaltsame Freizeitlektüre für kindliche Leser als vielmehr ein absolut empfehlenswertes Angebot für Erwachsene, die sich auf jeden Fall mit einem Päckchen Taschentücher rüsten sollten.
Was laut Buchrücken als harmlose Kindergeschichte daherkommt, ist eine knallharte Anklage des US-Justizwesens. Gelungene Gesellschaftskritik und eine tiefgründige Reflexion der Figuren bilden einen fesselnden Gesamtkomplex, der „Wer ist Edward Moon?“ zu einer absoluten Leseempfehlung macht.

Buchzitate:
Du kannst alle möglichen Fakten über jemanden kennen – Größe, Gewicht, wie er sein Frühstücksei mag -, aber du wirst nie Gewissheit darüber haben, was ihn in seinem Herzen umtreibt.