Rezension

Eine Zurück-ins-Leben-Geschichte, in der kleine Schritte große Wellen schlagen

Und dann kamst du - Heike Abidi

Und dann kamst du
von Heike Abidi

Bewertet mit 4 Sternen

Worum geht's?

Claire ist neunzehn und steht vor der großen, beängstigenden Frage, wie ihr Leben weitergehen soll. Sie und ihr Zwillingsbruder Colin hatten große Pläne; das Abi frisch in der Tasche sollte diesen Herbst das gemeinsame Medizinstudium starten. Doch jetzt ist Colin tot.
Wer ist Claire noch ohne ihn? Wer kann sie noch sein wollen?
Als dieser sympathische junge Mann mit den traurigen Augen im Bus seinen Rucksack vergisst, kommt es Claire wie ein Zeichen vor. Vielleicht sollte es erst mal einfach ihre Mission sein, ihn wiederzufinden und ihm seine Sachen zurückzugeben. Wenn sie das schafft, dann ja vielleicht auch alles andere? Könnte die Suche nach ihm einen Neuanfang bedeuten?

Was mich neugierig gemacht hat:

Mir gefiel die Ausgangssituation mit dem Rucksack des Fremden; man möchte natürlich wissen, ob Claire ihn finden wird und was er wohl für ein Mensch ist. Auch dass die Protagonistin schon etwas älter ist und somit eher Uni- statt Schulumfeld eine Rolle spielt, hat mich sofort angesprochen.

Wie es mir gefallen hat:

Im Laufe des Lesens ist mir, gerade im Vergleich zu anderen Büchern des Genres, die unaufgeregte, lebensnahe Art des Erzählens positiv aufgefallen, die diesem Buch eigen ist.
Man begleitet Claire dabei, wie sie in einer nicht näher bestimmten deutschen Universitätsstadt Fuß zu fassen bzw. herauszufinden versucht, ob das überhaupt das ist, was sie möchte.
Die Spannung baut sich also vor allem in Claires Innerem auf, während ihre Mission, Samuel zu finden, sie ein ums andere Mal über ihren Schatten springen lässt.

Die Kernthemen sind Trauerbewältigung und das Suchen in jedem Sinne. Das Suchen nach dem eigenen Platz in der Welt, das Suchen nach der Liebe, das Suchen nach innerem Heilwerden.
Dass Claire sich dabei auch auf einer weniger psychologischen Ebene auf einer Suche befindet, nämlich auf der nach dem Rucksackbesitzer, ist eine schöne Idee. Als Bonus gibt es außerdem noch begleitende Tagebucheinträge von Claire, die das Ganze dokumentieren.

Ob Claire Samuel findet oder nicht, wird natürlich an dieser Stelle nicht verraten!
Anmerken möchte ich nur, dass sie meiner Meinung nach manchmal ein wenig zu sehr auf dem Schlauch steht. Dafür, dass sie zeitweise so versessen darauf ist, ihm wiederzubegegnen und sich das auch oft ausmalt, und angesichts der Tatsache, dass sie, zumindest ihrer Zulassung für Medizin nach, ein helles Köpfchen sein muss, geht sie nicht unbedingt logisch vor.
Andererseits hat das natürlich auch plottechnische Gründe, da das Tempo der Geschichte sonst vielleicht aus dem Takt geraten wäre.

Was mich ein wenig gestört hat, ist, dass die Claire vor Colins Tod für mich nicht wirklich greifbar geworden ist. In der Gegenwart wirkt sie wie ein sehr planvoller, sensibler und träumerischer Mensch, der nach Dingen und Beziehungen sucht, die ihm wirklich etwas geben. Alles, was man jedoch über ihre Zeit vor Beginn des Buches erfährt, ist, dass sie mit Jungs zusammen war, die sie eigentlich nicht interessiert haben, und sich nie damit auseinandergesetzt hat, ob der Traum ihres Bruders auch ihrer ist. Das will für mich nicht richtig zusammenpassen.
Zu dem Eindruck trägt auch bei, dass nie von bestimmten Menschen die Rede ist, mit denen sie befreundet war, oder Ereignissen, die sie geprägt haben (mit Ausnahme von Momenten aus der Geschwister-Beziehung). Dafür gibt es ein paar nette Nebencharaktere, die nun eine Rolle in ihrem Leben spielen, und für tolle Szenen sorgen.

Insgesamt mochte ich also viele Aspekte der Geschichte, habe mich mit Claire jedoch teils etwas schwergetan.
Das Ende hätte ich mir im Detail vielleicht ein klein wenig anders gewünscht, finde aber die darin liegende Botschaft schön und ermutigend.

(Für wen) Lohnt es sich?

Alle, die Jugendbücher/Bücher für junge Erwachsene mögen, in denen nach außen hin vielleicht gar nicht so viel Weltbewegendes passiert, nach innen aber bahnbrechende Entwicklungen vor sich gehen, sollten sich mit Claire auf die Suche begeben.

In einem Satz: 

„Und dann kamst du" ist ein Buch der leisen Töne, eine Zurück-ins-Leben-Geschichte mit einer ordentlichen Portion Glauben an die wahre Liebe und eine Ermutigung zum Durchbrechen der Muster und Vorstellungen, die das eigene Leben bestimmen.