Rezension

Einfach lesen, weil es schön ist

Schlafen werden wir später - Zsuzsa Bánk

Schlafen werden wir später
von Zsuzsa Bánk

Bewertet mit 5 Sternen

Mehr als drei Jahre habe ich Márta und Johanna begleitet, 688 gedruckte Buchseiten E-Mails der beiden gelesen. Zsuzsa Bánk lässt ihre Leser einfach in die Beziehung der beiden stürzen. Es gibt keinen roten Faden, es gibt keine Geschichte. Es gibt aber eine tiefe emotionale Bindung zwischen den beiden Frauen, die sich schon aus Kindertagen kennen und deren Lebenswege sie an unterschiedlichen Orten haben stranden lassen. Und so prägt auch Sehnsucht immer wieder den Austausch der beiden. „… also wirst Du am Abend vorher anreisen müssen, mindestens am Abend vorher, und jetzt, da ich darüber nachdenke, klettert zum tausendsten Mal die Frage auf meine Zunge, warum Du nur weggehen musstest, liebste Jo. Manchmal kann ich nicht begreifen, dass Du immer noch dort bist, wo Du bist, ich kann nicht glauben, dass ich es war, die damals Umzugskisten für Dich gepackt, Deine Kartons gefüllt hat, damit Du aufbrechen konntest. Immerzu dachte ich, dies ist ein Versehen, ein Missverständnis, etwas ist falsch gelaufen, es ist ohne mich ausgemacht und entschieden worden, nur deshalb stehe ich vor Johannas Umzugskisten und packe. Ob sie nicht doch eine Studienrätin oder Droste-Expertin in unserer Nähe suchen?“

Márta neigt dazu, latente Vorwürfe in ihren Briefen zu vermitteln. Ihre eigenen Geldsorgen, ihre schriftstellerischen Schaffenskrisen, Johannas Kinderlosigkeit. All das wirft sie in die Waagschale, zu der Johannas Zeilen immer wieder ein gutes Gegengewicht bilden. Johanna, die ihre eigene Unzufriedenheit zwar zum Ausdruck bringt, sie aber doch auf ihren Schultern belässt. Obwohl mir persönlich ihr Leben eher ferner ist, konnte ich mich Johanna verbundener fühlen. Sie, die die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848) verehrt, vermittelt in ihren Passagen auch oftmals den beruhigenden Eindruck, selbst aus der Zeit gefallen zu sein. „Es ist Weinlesezeit. In allen Gassen burgab, burgauf riecht es nach Trauben und Wein. Traktoren fahren mit vollbeladenen Anhängern durch die Straßen. Vor dem Winzerverein stehen die Winzer auf ihren Tresterbergen. Lassen die Maschinen die Reste vor ihre Füße spucken. Soeben hat sich eine Funkenspur aufs Wasser gesetzt. Die letzte Sonne des Tages als Glitzerpfad. Ich habe ein Zimmer in der Oberstadt genommen. Fast auf Höhe der Burg. Unten die armen Leute, oben die Droste. Es riecht nach Backstube und Metzgerei. Im Hinterhof jagt eine Katze zwei Krähen. Unten schleppen sie Stimmen nach Haus. Ich sehe Äpfel, so weit mein Auge reicht. Äpfel, Apfelbäume. Äpfel, Apfelbäume. Vor meinem Fenster hinter Weinstöcken den See. Jetzt blassblau. Über dem Wasser atemdünne, kaum sichtbare Streifen von Nebel. Dein Wort. Gerade fängt er an, die Ufer zu verdrängen. Dann wächst er in die Dunkelheit und nimmt die Berge mit. Eine schneeweiße Taube gurrt vor meinem Fenster. Ja, schneeweiß.“

Für mich war es ein ganz intensives Buch, in einer wunderbar kraftvollen Sprache, das ich viel zu schnell verschlungen hatte. Ein Ende gibt es nicht und so bleibt das Gefühl, als wäre mir mit dem Buchdeckel eine Tür vor der Nase zugeschlagen worden. Ein Roman, zwei Ich-Perspektiven, hunderte von E-Mails. Wer sich mit dieser außergewöhnlichen Form anfreunden kann, wird ein besonderes Leseerlebnis haben können. 

Kommentare

LySch kommentierte am 07. Juli 2017 um 10:56

Schöne Rezi! Ich habe gerade das Hörbuch beim Sporteln angefangen und bin gespannt... :)

Buchliese kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:25

Da wünsche ich dir ganz viel Freude! Es gibt ja doch recht unterschiedliche Meinungen zum Buch, aber ich fand es ganz wunderbar geschrieben. 

wandagreen kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:34

Eine sehr hübsche, die Begeisterung für die Sprache und das Gefühl der Autorin vermittelnde Rezension, die die Atmosphäre dieses Buches wunderbar wiedergibt. Und auch die Schwierigkeiten anspricht, die der auf Spannung getrimmte Leser damit haben könnte, der Nervenkitzel oder Action braucht. Ein Beziehungsbuch mit ausdrucksstarker Sprache, das bestimmt am besten wirkt, wenn es vorgelesen wird oder am See gelesen wird, Äpfel essend, wie man es in Poenichen zu tun pflegte.

LySch kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:45

Ich bin schon ein wenig gefangen in dieser Sprache, muss ich ehrlich sagen! :) Und das Vorgelesen-Bekommen ist bei diesem Buch auch sehr hübsch <3 Wobei die Sprecherin von Martha etwas leicht nerviges, nörgelndes in ihrer Stimme hat, das mich auch ein wenig "nervt", aber es scheint dann ja gut dem beschriebenen leicht jammervollen Charakter Marthas zu entsprechen...

katzenminze kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:52

Haha, sorry aber dann wirst du sie im Verlauf der Geschichte noch umbringen wollen! XD Ich fand sie selbst gelesen ohne Nörgelstimme schon sehr nervig zwischendrin! Aber schön ist es trotzdem! Sehr schön. Das stimmt schon. ;)

LySch kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:55

Oh nein! xD Naja, man wird sehen! ;) Ich mache ja Sport dabei, da kann ich mich dann gleich gut abreagieren ^^

Johanna hat etwas lebensbejahenderes, finde ich...das gefällt mir! Und trotz der depressiven Stimmungen zeischendurch gibt es auch immer wieder die positiven Seiten des Lebens präsentiert - ich bin gespannt! :)

wandagreen kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:56

Also man kann schon auch noch SELBER vorlesen.

LySch kommentierte am 07. Juli 2017 um 11:59

Das ist beim Sporteln nur so schwierig ;)

Aber das mache ich grundsätzlich total gerne, vor allem bei "Der kleine Nick"-Geschichten oder bei "Puh der Bär" *grins* Da bin ich voll Kind!

wandagreen kommentierte am 07. Juli 2017 um 12:02

Der kleine Nick!! ich  l i e b e  ihn! Ist immer wieder zum Lachen schön. Hab ich gerne als einziges Buch in möglichst vielen Sprachen gelesen.

LySch kommentierte am 07. Juli 2017 um 12:06

Ich liebe diese Geschichten auch <3 Dieser feine Humor, die albernen Streiche, die lustigen Charaktere; ich könnt mich jedesmal kringeln vor Lachen :)

Ich kenns bisher nur auf Deutsch...