Rezension

Einmal Jude - immer Jude?

Die Postkarte -

Die Postkarte
von Anne Berest

Bewertet mit 4.5 Sternen

Nach dem Erhalt einer Postkarte, auf der nur vier Namen stehen, macht sich Anne Berest auf die Suche nach dem Absender. Denn die vier Namen stehen für vier während des Holocaust ermordete Familienmitglieder.

Anne Berest führt uns mit Hilfe der Erinnerungen ihrer Mutter tief in die bewegte Familiengeschichte ein. Sie beginnt mit den Urgroßeltern, die von Russland über Lettland und Palästina bis nach Frankreich kamen. Dort versuchten ab sie 1929 heimisch zu werden, doch die französische Staatsbürgerschaft blieb ihnen verwehrt. Trotzdem konnten die Kinder gute Schulen besuchen. Doch als Hitler in Deutschland die Macht ergriff, wurde das Leben der Juden auch in Frankreich bald schwierig. Bisher war mir nicht bewusst, wie viel Einfluss auch dort herrschte!

Der 1979 in Frankreich geborenen Theaterregisseurin und Autorin Anne Berest ist es gelungen, in ihrem Roman das Lebensgefühl in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr lebendig einzufangen. Im zweiten Teil des Buches begibt sie sich selbst auf Recherche. Sie berichtet von ihren eigenen Begegnungen mit dem Judentum, ihrer Verunsicherung deswegen, von ihrer Angst als Kind und Jugendliche wegen all dem Verschwiegenen. Denn ihre Eltern, der 68er-Generation zugeneigt, wollten nichts mit dem Judentum zu tun haben. Nun bringt die Autorin viel zutage, worüber die Nachkriegsgeneration nicht sprechen wollte.

Ihr ist anhand von Briefen und Tagebüchern und später mit Erinnerungen unterschiedlichster Menschen eine emotionale Komposition gelungen, die uns tief in die Vergangenheit eintauchen lässt. Ganz zum Schluss erfahren wir auch, wer die anonyme Postkarte geschrieben und versendet hat.

Mir hat das von Simone Kabst mit sympathischer Stimme eingesprochene, mehr als 14 Stunden dauernde Hörbuch neue Erkenntnisse gebracht, weshalb ich es voller Überzeugung weiterempfehle.