Rezension

Entsetzlich und faszinierend

Serpentinen
von Bov Bjerg

Bov Bjergs neuer Roman „Serpentinen“ zwingt die Leser in einen literarischen Slalom um die Frage, welche menschlichen Abgründe womöglich in uns allen lauern und wie viele davon wir uns selbst, unseren Genen oder unserer Erziehung "verdanken".

Was nimmt man mit aus seiner Kindheit? Was prägt einen, was nicht? Kann man sich von schlechten Vorbildern befreien oder unterschätzt man deren Macht?

Wie geht man damit um, wenn sich Vater, Großvater und Urgroßvater umgebracht haben? Wenn man zusehen musste, wie der eigene Vater vom Strick geschnitten wurde?

Ganz ehrlich: Ich habe kine Ahnung! Aber ganz bestimmt NICHT so, wie es Bov Bjerg, der eigentlich Rolf Böttcher heißt, in seinem neuen Buch aus der schwäbichen Provinz schildert: "Die Mutter ging zur Arbeit wie immer. Ich ging zur Schule wie immer. Niemand sprach davon, dass der Vater gestorben war. Niemand sprach davon, wie er gestorben war. Jetzt nicht und in Zukunft nicht." In dieser Welt regieren das Schweigen und das "Familienbla", ein Gerede aus Lügen und Legenden, das nur einen Zweck hat, nämlich Wahrheiten zu verschweigen.

 

In dem Buch „Serpentinen“ werden die schlängelnden Kurven zum Programm. Eingebettet in die Rahmenhandlung eines Ausflugs erzählt Berg vom Leben als mäanderndem Schlingerkurs. Und von der Frage, was Menschen Kindern antun und welche Schäden deren Seelen nehmen können. Wie wirkt sich beispielsweise eine Reihe von Selbstmorden aus?

 

Als wäre all dies für die meisten Leser nicht schon schlimme Zumutung genug, steht der längst erwachsene Ich-Erzähler zudem vor den Scherben seiner Ehe und seines Lebens. Und muss feststellen, dass er selber kurz davor steht, die Familientradition der Männer fortzusetzen. Womöglich hält einzig die Existenz seines eigenen Sohnes den Erzähler noch vom Suizid ab, aber ihn quälen das ganze Buch hindurch düstere Schatten. Gipfelnd in der Frage, ob es Sinn machen könnte, den Jungen mit in den Tod zu nehmen, um die Kette der Selbstmorde zu durchbrechen.

 

Ein entsetzliches Buch, das stellenweise kaum zu ertragen scheint, aber auch ein faszinierendes Buch, das einen nicht loslässt. Dieser Roman ist ein fesselnder und überaus spannender Blick in menschliche und in deutsche Abgründe.

  

PS: Auf den ersten 20, 30 Seiten war ich (wie offenbar auch andere Leser) mehrfach in Versuchung, das Buch wegzulegen.

Tun Sie es bitte nicht, lesen Sie weiter.

Es lohnt sich!