Rezension

Erschütternde Wahrheit

Denk ich an Kiew -

Denk ich an Kiew
von Erin Litteken

Bewertet mit 5 Sternen

Der 28. November gilt in der Ukraine als der Gedenktag für die Opfer des Holodomor bzw. Hungersnot. An diesem Tag gab es in meiner ukrainischen Schule immer eine Schweigeminute vor dem Unterricht. Fast 9 Millionen Menschen (davon 3,9 Ukrainer) starben wegen diesem schrecklichen Ereignis in den 1930er Jahren. Ich erinnere mich immer noch an die Bilder der Überlebenden sowie deren Geschichten, die ich in den Lehrbüchern gesehen habe.

Im Roman wird die Story auf 2 Zeitebenen erzählt: 1929 in der Ukraine und 2004 in den USA. Die Protagonistin Katja lebt 1929 ihr glückliches Leben und möchte heiraten, bis Bolshewiki kommen und ihre Familie zwingen, ihre Landwirtschaft dem Staat zu überlassen. Wenn man es nicht tut, kann man als Verräter bezeichnet und nach Sibirien deportiert werden. Durch die stalinistische Regierung werden Kolchosen eingeführt, wo Menschen für eine Scheibe Brot den ganzen Tag arbeiten müssen. Für Katja und ihre Familie wird es nicht leicht zu überleben. Die Autorin verschont keine Figur aus der Vergangenheit. Die Schrecken des Hungers werden grausam dargestellt. An manchen Stellen konnte ich nicht aufhören zu weinen. Für mich war es nicht einfach, das Buch zu lesen, nicht nur angesichts der aktuellen Situation. Das Verständnis, dass es Fälle des Kannibalismus gab, die man zwischen den Zeilen liest, erschreckt. Erin Litteken bearbeitet im Roman die Geschichte ihrer Großeltern, die im Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine geflüchtet sind. Die geschilderten Ereignisse werden dabei historisch korrekt, aber grausam gezeigt.

2004 zieht Cassie mit ihrer Tochter zu ihrer Großmutter Katja, über deren Vergangenheit sie nicht viel weiß. Allmählich merkt sie bei ihrer Oma, dass die Geister ihrer Vergangenheit ihr Leben immer noch bestimmen. Cassie bekommt das Tagebuch, das ihre Oma in der Ukraine geführt hat. Mit der Nachbars Hilfe können Katjas Notizen übersetzt werden. Cassie erfährt das Unvorstellbare, was ihre Oma erlebt hat.

Diese Zeitebene wirkt auf den Leser ruhiger trotz der Probleme, mit denen Cassie zu tun hat. Überdies spielt das Geschehen in den 1930er Jahren die wichtigere Rolle im Roman.

Insgesamt bin ich froh, dieses Buch gelesen zu haben. Neben den Grausamkeiten werden auch die Einblicke in den ukrainischen Traditionen gezeigt, wie z.B. Hochzeit, Beerdigung, Religion und ukrainische Küche. Dieses Buch ist nicht für jeden, aber ich kann es denjenigen herzlich empfehlen, die sich für Kulturen und Geschichte interessieren.

Ein authentischer aber erschütternder Roman über die Schrecken des Genozids in den Jahren von Holodomor in der Ukraine. Übrigens wurde dieser Genozid nur in 19 Ländern eingestuft.