Rezension

Falsche Erwartungshaltung

Unverschwunden -

Unverschwunden
von Philipp Gurt

Bewertet mit 3 Sternen

Die Welt beginnt dich zu vergessen

„Aber ihm war schon lange klar, dass Zufriedenheit die beständigste Form von Glück war und für die meisten unerreichbar, denn der Schlüssel dazu lag nicht im Haben, sondern im Sein. Doch die meisten Menschen investierten ins Haben.“

Inhalt

Lukas Cadisch ist ein erfolgreicher bald 40-jähriger Schriftsteller, der eines Morgens feststellen muss, dass er von seinen Mitmenschen nicht mehr wahrgenommen wird. Weder Mensch noch Tier können ihn sehen oder nehmen seine unmittelbare Nähe wahr. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um ihm bekannte Personen handelt oder vollkommen Fremde. Er hingegen lebt wie in einer unsichtbaren Blase, denn er kann alles hören und sehen, nur nichts mehr in der „echten“ Welt berühren. Und was für andere eine phänomenale magische Fähigkeit wäre, wird für ihn ganz unmittelbar und unwiderruflich zu einem schweren Schicksal, denn nun erfährt er nicht nur all die ungeschönten Wahrheiten, von Menschen, die ihn trotz aufrichtiger Freundschaft hintergangen haben, sondern auch noch die traurigen Befindlichkeiten ihn bis dato Unbekannter. Verzweifelt versucht er eine logische Erklärung für seinen Zustand zu finden und stößt dabei auf ein paar Ungereimtheiten. Denn in der gleichen Nacht, in der er selbst „verschwunden“ ist, ging es auffallend vielen Personen ebenso. Lukas nimmt an, dass ebenjene durch ihre Parallelleben geistern, genauso wie er selbst und begibt sich auf die Suche nach möglichen Leidensgenossen, während die echte Welt und die Menschen darin langsam beginnen, ihn zu vergessen …

Meinung

Auf dieses Buch bin ich durch zahlreiche positive Leserstimmen aufmerksam geworden und ein intensiv-berührender Roman über das Menschsein, wie es der Klappentext verspricht, reizt mich sowieso, so dass ich mir diese Story nicht entgehen lassen konnte.

Allein die Idee des „Unsichtbar-Seins“ mit all den Möglichkeiten aber auch den entsprechenden Grenzen ist für mich hochinteressant. Tatsächlich beschäftigt sich der Text aber in erster Linie mit der Unfreiwilligkeit des Ganzen. Denn der Protagonist kann seinen Zustand nicht mehr anpassen, ihn nicht verlassen und hat keine Idee, wie er sein zukünftiges Leben gestalten soll, wenn es ihn doch für andere nicht mehr gibt. Nun reagiert er auf diese Situation aber dermaßen gefasst, ergibt sich in sein Schicksal und sucht zwar nach Wegen diesem zu entkommen, allerdings längst nicht so vehement, wie vermutet. Gerade die Einsamkeit, die Verzweiflung und die Traurigkeit überfallen ihn eher wie Wellen, die er immer wieder unterbricht, um sich mit Inseln der Ruhe zu umgeben – er geht auf Berge, stellt sich dem Alleinsein und kommt nur hin und wieder in die Zivilisation zurück, um nachzuschauen, ob es tatsächlich noch so ist, wie es ist. Die Veränderungen in der Welt betreffen ihn nur noch peripher, die Menschen, die er kennt, werden älter, gehen gebeugter oder orientieren sich neu und an all diesem kann er nicht mehr teilhaben, es interessiert ihn aber auch immer weniger.

Trotz dieser innovativen, vielschichtigen Hintergrundgeschichte, bleibt mir die Distanz viel zu groß. Die Nähe zum Hauptprotagonisten, bleibt fast komplett aus und seine Gedankengänge kann ich zwar verstandesmäßig nachvollziehen, jedoch nicht emotional. Sehr schwierig, denn gerade dieses Element muss bei so einer Story sitzen, ich hätte mir so sehr gewünscht, mit Lukas mitzufiebern, seine Sorgen zu teilen und seine Versuche dem Schicksal zu entkommen tatsächlich zu spüren. Allerdings hatte ich beständig das Gefühl, das der Schriftsteller zwar mit seinen Erlebnissen hadert, sich aber absolut darin integriert, dass er einfach annimmt, was ihm begegnet und sei es auch mit jeglichem Verlust umzugehen. Sein Leben als „Unverschwundener“ soll vielleicht eine Lektion sein, die er versucht zu akzeptieren. Auch die vielen Naturbeschreibungen, die seine einsamen Wege begleiten haben mich etwas gestört, denn so schön die Bergwelt auch sein möchte, hier hätte ich mir eine andere Fokussierung gewünscht.

Positiv beurteilen möchte ich die vielschichtige Auseinandersetzung mit den Entscheidungen anderer, denn Lukas spürt natürlich, dass er mit seinen neuen Fähigkeiten auch ganz andere Möglichkeiten hätte, nimmt diese aber nicht wahr, denn sein schlechtes Gewissen, welches sich automatisch melden würde, verbietet es ihm, zu nah an andere Menschen heranzutreten, sie auch nur aus der Position des heimlichen Beobachters zu ergründen. Dadurch regt dieser Roman schon zum Nachdenken an, er impliziert viele Gedankengänge, lässt aber auch große Lücken, die jeder Leser füllen kann, wie er mag. Das ist gerade bei dieser unbestimmten Thematik nicht einfach, denn dadurch wird eine abschließende Aussage so unbestimmt und nicht greifbar. Den magischen Aspekt vernachlässigt der Roman weitestgehend, die Gründe für die „Unsichtbarkeit“ bleiben in Anbetracht der Ereignisse irgendwie blass und ändern auch nichts an der erlebten Situation.

Fazit

Irgendwie bin ich von diesem Buch enttäuscht, denn der Schreibstil war nicht schlecht aber auch nicht sonderlich motivierend. Während der Lektüre habe ich parallel noch andere Bücher gelesen, die mich unterdessen mehr fesseln konnten. Am meisten stört mich die Tatsache, dass ich mir ziemlich sicher war, hier ein Buch nach meinem Geschmack in den Händen zu halten und immer wenn ich drin war, kam wieder eine Passage, die ich komplett anders aufgezogen oder mit anderen Motivationen verknüpft hätte. Deshalb werden es leider nur 3 Lesesterne für diesen Roman, der bei mir weder emotional noch spannungstechnisch punkten konnte. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es ein subjektives Empfinden meinerseits ist, denn je nachdem, was man erfahren möchte oder als Unterhaltungswert ansieht, eine Eigenschaft kann man der Lektüre sicherlich zugestehen – sie ist innovativ und sehr offen für diverse Interpretationen.