Rezension

Faszinierendes Kaleidoskop indianischen Lebens

Der scharlachrote Pfad - Kerstin Groeper

Der scharlachrote Pfad
von Kerstin Groeper

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist der Winter 1870: Wah-bo-sehns, eine junge Witwe der Crow-Indianer, flüchtet mit ihrem Baby in den Wald. Ihr Dorf wird von feindlichen Lakota überfallen und einer der Krieger verfolgt sie. Einer plötzlichen Eingebung zufolge tötet er sie nicht, sondern nimmt Wah-bo-sehns mit in sein Heimatdorf und heiratet sie. Von nun an lebt Wah-bo-sehns mit ihrem Mann Tschetan-withko als Lakota und erlebt den Alltag, aber auch wie Raubzüge gegen verfeindete Stämme wie die Pawnee unternommen werden und andere geraubte Frauen zur Dorfgemeinschaft stoßen. Die Frauen erleben Überfälle auf ihr eigenes Dorf, Freud und Leid, Liebe und Hass. Sie leben ihr alltägliches Leben, bis die Flut der Weißen zunimmt, die Büffel ausbleiben und der Stamm auf der Flucht vor den weißen Soldaten ist. Schließlich unternimmt die Lakota-Gruppe, wie viele andere, den entbehrungsreichen Weg nach Kanada auf sich. Im Land „der weißen Großmutter“ sind sie jedoch nur vorübergehend geduldet. Werden sie weiterhin in Freiheit leben können oder steht ihnen auch das menschenverachtende Leben in der Reservation bevor?

 

Die Autorin Kerstin Groeper besitzt ein fundiertes Wissen über Leben und Riten der Lakota (Sioux). Während der zehn Jahre, die der Leser das Dorf mit Wah-bo-sehns begleitet, erfährt man detailliert – doch niemals langweilig – wie der Alltag ablief und wie die spirituellen Handlungen ganz natürlich in Denken und Handeln integriert sind. Träume und Visionen sind ein wichtiger Bestandteil des Glaubens und wirken sich direkt auf das Handeln aus. Sichtweisen, die grundlegend anders sind als unsere europäischen faszinierten mich. Kerstin Groeper erzählt mit viel Liebe zum Detail und aus der Sicht der Indianer, ohne zu bevormunden. Immer wieder werden auch einfache Begriffe aus der Lakota-Sprache und viele indianische Namen in der Originalsprache verwendet, was sehr authentisch auf mich wirkte. Natürlich gibt es auch die Schattenseiten zu sehen: zum Beispiel Überfälle und Rachefeldzüge, bei denen die Gegner nicht verschont werden. Dann vor allem die zunehmende Einengung und Verzweiflung angesichts des Landraubs der Weißen, des Abschlachtens der Büffel und der Soldatenüberfälle, die keine Rücksicht auf Frauen und Kinder nehmen. Alles um die Indianer zu besiegen und in Reservate zu zwingen, damit die Weißen ihr Land besiedeln können oder in den heiligen Black Hills nach Gold schürfen können. Die letzten Kämpfe um ihre Freiheit, die Grausamkeit und die Entbehrungen sind ungeschönt geschildert und trieben mir des Öfteren Tränen in die Augen. Aber die Autorin führt dem Leser nur die geschichtlichen Tatsachen vor Augen, das macht es umso schockierender.
„Der scharlachrote Pfad“ war mein erstes Buch von der Autorin Kerstin Groeper, mit Sicherheit aber nicht mein letztes. Wer sich für Lebensweise und Geschichte der Indianer interessiert, wird an diesem Buch seine wahre Freude haben. Trotz des Umfangs von beinahe 800 Seiten ließ es sich gut lesen, war sprachlich und stilistisch einwandfrei. Sehr nützlich fand ich die Karte und das Personenverzeichnis. Mit ihrem detailreichen Buch hat die Autorin den Indianern eine Stimme gegeben: jenen, die vor 150 Jahren für ihre Freiheit kämpften und denen, deren Lage heutzutage leider immer noch missachtet wird, wie man an der Armut vieler amerikanischer Ureinwohner sieht.