Rezension

Filmreif!

Drohnenland
von Tom Hillenbrand

Alles wird überwacht. Alles ist sicher. Doch dann geschieht ein Mord, der alles infrage stellt. Wozu Zeugen vernehmen, wenn all ihre Bewegungen und Gespräche bereits auf einer Festplatte archiviert sind? Warum Tatorte begehen, wenn fliegende Polizeidrohnen bereits alles abfotografiert haben? Als ein Brüsseler Parlamentarier auf einem Feld nahe der Hauptstadt ermordet aufgefunden wird, glaubt Kommissar Aart van der Westerhuizen zunächst, den Fall mithilfe des beinahe allwissenden Europol-Fahndungscomputers und der brillanten Forensikerin Ava Bittmann rasch lösen zu können. Und tatsächlich gibt es verblüffend schnell einen Verdächtigen. Doch dann entdeckt er immer mehr Hinweise darauf, dass die digitale Datenspur manipuliert wurde und gerät in eine Verschwörung, die ganz Europa in seinen Grundfesten zu erschüttern droht.

Die Welt nach dem Klimawandel. Die Küstenregionen sind im Dauerregen untergegangen. Holland existiert nicht mehr. Europa ist zu einer großmächtigen Union angewachsen. Amerika spielt weltpolitisch keine Rolle mehr. Die Kriege ums Öl sind längst ausgefochten, die arabischen Länder sind atomverseucht. Auch die Kriege um Land, auf dem Sonnenkollektoren aufgestellt werden können, sind bereits Geschichte.  Trotzdem empfindet man das Szenario nicht als düster, sondern einfach als gegeben. Das liegt am ruhigen Erzählstil von Tom Hillenbrand und daran, dass er nichts zu erklären versucht, er setzt es einfach voraus.

Auch die technischen „Errungenschaften“ dieser in naher Zukunft angesiedelten Welt, wird nicht näher eingegangen. Die meisten erklären sich auch von selbst, da sie bereits existieren. Überwachungsdrohnen, Datenbrillen, selbst fahrende Autos, Medienfolien, … das gibt es alles schon. Man muss die Technik nur konsequent weiterdenken und schon hat man den perfekten Überwachungsstaat. Wer die Daten hat, hat die Macht. Datensicherheit – auch das ist bereits bewiesen – gibt es nicht.

Alles schon mal gelesen? Nein, nicht in dieser Form und nicht aus einer rein europäischen Perspektive. Auch nicht mit einem so taffen Hauptkommissar. Arthur (Aart) van der Westerhuizen, Holländer, Ende 40 und seines Zeichens Hauptkommissar bei Europol in Brüssel, ein Mann ganz nach meinem Geschmack. Er liebt alte Bogart-Filme und Lakritz. Gekonnt hält Westerhuizen die Balance zwischen melancholischem Grübler, coolem Kriegsveteran und begnadetem Schnüffler. (Ich hatte ständig die Synchronstimme von Bruce Willis im Ohr.) Und weil er ein guter Spürhund ist, stolpert er über Dinge, die nicht ans Tageslicht kommen sollen, kommt damit höchsten politischen Kreisen in die Quere und wird gnadenlos gejagt.

Auch als Krimi funktioniert der Plot hervorragend. „Schwierige Fälle löse man nicht durch kontinuierliche Deduktion, sondern durch Epiphanien. … Anders ausgedrückt: Es ist sinnlos, der Erkenntnis hinterherzulaufen. Du musst warten, bis sie zu dir kommt.“

Anders als bei Dave Eggers „The Circle“, den die Realität schon vor dem Erscheinungstermin eingeholt hatte und der mir seine spärlichen Erkenntnisse mit dem Hammer einschlagen wollte, kommt „Drohnenland“  zwar nicht völlig klischeefrei, so doch subtiler und vor allem spannender daher. Nichts ist perfekt, auch nicht dieses Buch. Stellenweise haperts mit der Logik, a bisserl weniger Verschwörungstheorie hätt auch genügt, Forensikerin Ava ist zu konturlos geraten und der Schluss hätte eine kräftige Pointe gebraucht. Trotzdem eine filmreife Leistung und ein Buch ganz nach meinem Geschmack.

„Der Verstand ist oft die Quelle der Barbarei; ein Übermaß an Verstand ist es immer“ - Giacomo Leopardi