Rezension

Flucht an die Ostsee

Holunderherzen - Brigitte Janson

Holunderherzen
von Brigitte Janson

Bewertet mit 5 Sternen

Anne, um die 40, betreibt einen Cateringservice, den sie gemeinsam mit ihrer Kollegin und besten Freundin Gesa betreibt. Die Arbeit macht ihr großen Spaß, lenkt sie sie auch von ihrem privaten Umfeld ab.
Ihr Freund hat gerade Schluss gemacht und sie wird nicht fertig damit, Tränen seinetwegen zu vergießen. Gesa versucht sie zu trösten, so gut es geht. Selbst ihre Eltern wollen nur das beste und bieten Anne an, doch wieder zu ihnen nach Hause zu ziehen. 
An dem Punkt angekommen, überlegt sie sich ernsthaft, das Angebot ihrer Tante Tilly, die sich als schwarzes Schaf der Familie einen Namen gemacht hat, anzunehmen und zu ihr in die Lüneburger Heide, ins Holunderdorf zu ziehen.

Tilly, über 70 Jahre alt, wollte dieses gemeinsam mit 5 anderen Freunden aufbauen, aber diese Freunde haben sie einer nach dem anderen verlassen, so dass sie in einem Wohnwagen allein dort lebt. Tilly ist nun aber auch nicht der Typ, der leicht mit anderen Menschen kann, ganz im Gegenteil. Das einzige Lebewesen, das sie abgöttisch liebt und an sich heranlässt, ist ihr Mops Hugo. Zu den Menschen findet sie schwer Zugang, aber das liegt eher an ihrer mürrischen und herrischen Art, die bei anderen nicht unbedingt auf Zustimmung stößt. Aber das ist ihr egal, sie ist eigenbrötlerisch und will allein sein, meistens jedenfalls.
Es gibt niemanden, mit dem sie nicht zusammenstößt.
Vorneweg sei genannt Dr. Carsten Sörensen, Arzt vor Ort, der sich erdreistet hat, ihren Mops Hugo zu überfahren, naja, fast zumindest. Er hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Er ist Witwer und lebt mit seiner Tochter Kyra allein, lässt aber emotional ebenfalls niemanden an sich heran. Kyra ist die Einzige, die Zugang zu Tilly findet.
Thies Arens, ein ehemaliger Fischer, wortkarg, hat sich in Tilly verguckt, wird bei ihr regelrecht redseelig, wenn bei einem Satz mit 5 Worten schon von geschwätzig die Rede sein kann. Er macht ihr Geschenke und sie spricht ihn immer mit "alter Mann" an. 
Die Leute aus dem Dorf halten sie für eine komische Alte, die ursprünglich ein Hippiedorf schaffen wollte.

Anne, die ihre Tante Tilly immer bewunderte, bricht alle Zelte in Hamburg ab und macht sich auf den Weg ins Holunderdorf. Dort trifft sie auf Carsten Sörensen und schon sind alle Vorsätze bezüglich Männer vergessen. Aber er ist seelisch verkrüppelt und lässt auch Anne nicht an sich ran. Aber mit Kyra, seiner Tochter versteht sie sich blendend.

Als sie den herrlichen Holunderstrauch sieht, macht sich Anne Gedanken, wie sie die Früchte verwenden kann. Sie beschließt, ein Café zu eröffnen und dort Kuchen und anderes aus Holunder gefertigtes anzubieten. Dieses Café möchte sie in dem "Schiefen Stübchen" einrichten, dem einzigen Ort, der soweit rekonstruiert wurde, dass man daraus was machen könnte. Nachdem die Idee geboren wurde, musste sie nur noch umgesetzt werden.

Die Bücher der Autorin Brigitte Janson / Brigitte Kanitz / Brigitte Jacobi sind bis jetzt ein Garant für Unterhaltung gewesen, so auch dieses Buch.
Die Protagonisten haben fast alle irgendeine Eigenart an sich, die man schon als Macke bezeichnen könnte. Aber sie passen zueinander, es macht sie menschlich und liebenswert.
Niemand macht sich seine Entscheidungen leicht, einige dauern etwas länger, andere hätte man lieber nicht getroffen.

Obwohl es ein ausgesprochen unterhaltsamer Roman ist, bei dem ich desöfteren über Tilly und ihr freches Mundwerk grinsen musste, nach dem Motto rauh, aber herzlich, gibt es auch ernstere Töne, die von Krankheit geprägt sind. Das machte mich betroffen, aber nötigte mir auch Respekt ab, was bestimmte Entscheidungen anging.

Ich habe die Protagonisten in mein Herz geschlossen und zwar alle, wie sie sind. Bei Annes Eltern musste ich ein paar Abstriche machen, aber die fallen nicht sehr ins Gewicht. Jeder mit seinen Ecken und Kanten hat dazu beigetragen ist, dass man hier ein Buch in der Hand hat, das man mit Spaß lesen kann.
Die Autorin hat ihre Handlung in die Lübecker Bucht angesiedelt und diese dem Leser vertraut gemacht.

Ich habe mich mit diesem Buch sehr gut unterhalten gefühlt, meinetwegen hätte es noch ein paar Seiten mehr haben können, aber vielleicht gibt es ja mal eine Fortsetzung mit Kyra als Protagonistin? Zu wünschen wäre es.
Es ist ein Buch, das man erst aus der Hand legen mag, wenn man es durchgelesen hat und das ich sehr gern weiterempfehle.