Rezension

Flucht vor der Wirklichkeit

Der unsichtbare Gast - Marie Hermanson

Der unsichtbare Gast
von Marie Hermanson

Bewertet mit 5 Sternen

Sie wollen vor der Wirklichkeit fliehen und werden dann härter den je von ihr überrollt – Mit „Der unsichtbar Gast“ ist der schwedischen Autorin Marie Hermanson ein vielschichtiger, packender und stimmungsvoller Roman gelungen, der lange in einem nachklingt.

Der Leser begleitet Martina, die die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt. Bei Martina läuft es momentan nicht gerade rund: In ihrem derzeitigen Job als Zimmermädchen wird sie ausgebeutet und dann wird ihr auch noch die Wohnung gekündigt. Da trifft Martina ihre alte Freundin Tessan wieder. Tessan erzählt von ihrer Arbeit als Haushälterin bei Florence Wendman, einer alten Dame, die auf Gut Glimmenäs lebt. Kurzerhand begleitet Martina Tessan auf das Gut und ist begeistert: Auf dem ganzen Anwesen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein und Martina kommt sich vor wie in einem Film, der in den 1940er spielt. Doch nicht nur das Haus hat sich seitdem nicht verändert, auch Florence lebt geistig im Jahr 1943 – da war sie ein junges Mädchen. Tessans Aufgabe als Haushälterin besteht im Endeffekt darin, die Vergangenheit aufrecht zu erhalten. Auch Martina findet eine Anstellung auf dem Gut, als Florences Sekretärin. Die beiden jungen Frauen glauben im Paradies angekommen zu sein: ein angenehmer Job,  ein gutes Taschengeld sowie freie Kost und Logis. Martina bleibt nicht der einzige Neuzugang auf dem Gut, es gesellen sich bald noch drei weitere junge Menschen dazu. Alle haben sie eines gemeinsam: Sie sind nicht richtig in der Gesellschaft angekommen und wollen ihren Alltagsproblemen entkommen. Dass diese weltfremde Idylle, in die sich die fünf jungen Menschen flüchten, aber nicht für immer Bestand hat, liegt auf der Hand. Und eines Tages geschieht tatsächlich etwas, das eine Lawine ins Rollen bringt.

Hermanson hat ihren Roman sehr raffiniert konstruiert. Von Anfang an wird angedeutet, dass diese Idylle nicht lange währen wird. Über der Szenerie schwebt die ganze Zeit etwas Surreales, aber auch Beklemmendes und Bedrohliches. Wie Hermanson diese unheilverkündende Atmosphäre entwickelt und aufbaut, ist wirklich großartig. Dazu kommt ein flüssiger, klarer Schreibstil, der einen sofort in die Geschichte hineinzieht. Auch die Charaktere sind sehr lebendig und detailliert gezeichnet. „Der unsichtbare Gast“ ist ein kurzweiliger, spannender Roman, der aber auch verdeutlicht, wie empfänglich gescheiterte junge Menschen für Fluchtmöglichkeiten aus der Realität sind und was Gruppendynamik anrichten kann. Gerade die Beschreibung der Gruppendynamik im Buch war sehr gelungen. Eine absolute Leseempfehlung.