Rezension

Frauenleben in Südkorea...

Miss Kim weiß Bescheid -

Miss Kim weiß Bescheid
von Cho Nam-Joo

Bewertet mit 4 Sternen

Einzelne Geschichten werfen ein Licht auf das Leben der Frau in Südkorea - allerdings dürfte uns Europäer:innen vieles auch nicht fremd sein...

Nach ihrem feministischen Weltbestseller Kim Jiyoung, geboren 1982 widmet sich die koreanische Autorin Cho Nam-Joo weiterhin dem Schicksal von Frauen in ihrem Land, die unter den patriarchalen Strukturen leiden. Sieben Frauenleben werden beleuchtet und wieder gelingt es der Autorin, dass sich Frauen weltweit angesprochen fühlen. Miss Kim weiß Bescheid versammelt die Leben von sieben koreanischen Frauen im Alter von 10 und 80 Jahren. Jede einzelne dieser stellvertretenden Frauenbiografien wird vor einem aktuellen gesellschaftlichen Thema in Korea verhandelt: das heimliche Filmen von Frauen in der Öffentlichkeit, Hatespeech und Cybermobbing auf Social-Media-Plattformen, häusliche Gewalt, Gaslighting, weibliche Identität im Alter und die Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz. Auch sich selbst, die plötzlich weltbekannte Autorin, nimmt sie ins Visier. Ihr Erfolg ermöglicht ihr einerseits, ihr Leben als Schriftstellerin komfortabel zu führen, andererseits lässt sie der Hass, der ihr vor allem im Netz begegnet, nicht kalt. Cho Nam-Joos meisterhaftes Können besteht in der glasklaren Sprache, in der sie ihre Prosa verfasst und gleichzeitig in dem genauen Blick auf die Ungerechtigkeiten Koreas, den sie mit nichts verschleiert, sondern im Gegenteil messerscharf zu Papier bringt. Wie schon bei Kim Jiyoung, geboren 1982 sind auch die Schicksale dieser sieben Frauen nicht annähernd so weit von uns weg, wie wir meinen und hoffen. (Verlagsbeschreibung)

Auch in ihrem Erzählband stellt Cho Nam-Joo wie schon in ihrem Debütroman "Kim Jiyoung, geboren 1982" Mädchen und Frauen in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Aus Sicht der jeweiligen Ich-Erzählerin befindet sich der Hörer meist unmittelbar in der aktuell intensiven oder fordernden Phase ihres Lebens. Das Spektrum der Geschichten reicht von einer jungen Liebe zweier Schulkinder, die durch Covid-19 eine unerwartete Erschwernis erfährt bis hin zu einer hochbetagten Frau, die sich von ihrer sterbenden Schwester verabschiedet und dabei in Erinnerungen taucht.

Das Leben als Frau in Südkorea - ein Spagat zwischen Erwartungshaltungen unterschiedlichster Art. Berufsleben, Leistungsdenken, Kindererziehung, Rollenzuschreibung - die Dienende, die selbstverständlich hinter Männern zurücksteckt, hinter der älteren Generation, benachteiligt auf vielen Ebenen. Gerade für junge Frauen ist es oftmals sehr schwer, Familie und Beruf zu koordinieren - lange Arbeitstage, keine zeitlich ausreichende Kinderbetreuung, und ohne die Großelterngeneration gäbe es häufig keine Lösung. Diese Aufgaben haben aber stets die Frauen zu stemmen.

Man erhält durch die Geschichten einen guten Einblick in die patriarchalisch geprägte Kultur und Tradition südkoreanischen Lebens. Bildung steht hoch im Kurs, neben der Schule gibt es zahllose Nachhilfeinstitute, die der Verbesserung der Schulnoten dienen. Nur die Besten erhalten die begehrten Studienplätze und starten somit mit mehr Chancen ins Berufsleben. Fleiß, Ehrgeiz, Disziplin - alles Tugendenden, die hochgehalten werden. Doch hat eine Familie nicht das Geld, um alle Kinder studieren zu lassen, sind es stets die Mädchen, die zurückstecken und dazu noch durch ihre Arbeit für die Studiengebühren ihrer Brüder aufkommen müssen. Sexuelle Übergriffe werden häufig bagatellisiert oder gar vertuscht - es sei denn, sie wehren sich wie hier in einer der Erzählungen auf originelle Weise.

Erzählt wird meist in distanziertem Stil, nahezu nüchtern, was die Empfindungen von Ungerechtigkeit beim Hören jedoch nicht unterdrückt. Leise Ironie und gelegentlich auch ein Blick auf die jüngere Generation, die zeigt, dass sich womöglich Denkweisen punktuell ändern könnten, sorgen für Auflockerung. Allen Geschichten gemein ist, dass jede der starken Frauenfiguren letztlich den Blick nach vorne richtet, egal wie schwierig die jeweilige Lebenslage ist.

Man sollte sich hüten, diese Erzählungen lediglich als Einblick in eine fremde Kultur abzutun. Denn patriarchalisch geprägte Strukturen gibt es nach wie vor auch bei uns, vielleicht nicht in dem extremen Ausmaß, aber so wirklich fremd erschienen mir viele der angesprochenen Themen nicht.

Christiane Marx und Sabine Arnhold sind die beiden Sprecherinnen des leider gekürzten Hörbuchs (6 Stunden und 42 Minuten). Ein angenehmes Hörerlebnis, das neugierig macht auf weitere Bücher von Cho Nam-Joo.

 

© Parden