Rezension

Frauenpower in den Fifties

Die Wunderfrauen - Stephanie Schuster

Die Wunderfrauen
von Stephanie Schuster

          Die Zeit des sogenannten “Wirtschaftswunders” der 1950er Jahre ist eine, mit der ich mich bis auf den Geschichtsunterricht in der Schule kaum beschäftigt habe. Stephanie Schuster hat sich für ihre Trilogie über die vier “Wunderfrauen” genau diese Zeit als Ausgangspunkt ausgesucht (bis in die 1970er Jahre soll die Geschichte in zwei Folgebänden weitergehen) und damit erheblich zu meiner Weiterbildung beigetragen. Ihr Auftaktband spielt im Oberbayern der 1950er Jahre, wo wir vier Frauen begleiten, die den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Neuanfang der jungen Bundesrepublik mitgestalten.
Die Autorin erschafft ein wunderbares Setting, das die “Fifties” vor dem geistigen Auge der LeserInnen auferstehen lässt. Dabei gelingt ihr der Spagat zwischen ernsten Themen (traumatische Kriegserlebnisse, leider immer noch vorherrschendes braunes Gedankengut, Thema Entnazifizierung, Umgang mit den Besatzern, etc.) und einer lockeren, hoffnungsvollen Aufbruchstimmung, die diese Zeit gleichermaßen kennzeichnen. Strumpfhosen, Rock n’Roll und Kaugummi halten auch am Starnberger See Einzug. Zwischen Leutstetten und Starnberg sowie gelegentlich auch bis ins große angrenzende München bewegt sich der Radius der Handlung.
Interessant ist das damalige Frauenbild, das die Autorin anhand ihrer vier Protagonistinnen nachzeichnet. Obwohl viele Frauen während des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf sich allein gestellt waren und als “Trümmerfrauen” den Wiederaufbau Deutschlands gemanagt haben, hat sich in den Fünfzigern wieder das konservative Gesellschaftssystem eingeschlichen. Die Verkrustung bricht nur langsam auf, die Emanzipation steckt noch in den Kinderschuhen.
Luise, die gebürtige Oberbayerin, wagt sich langsam aus der Deckung. Obwohl sie - aus der Landwirtschaft stammend - als Ehefrau eines Fernmeldetechnikers im geerbten Haus der Schwiegermutter als Hausfrau lebt, wagt sie den Weg in die Selbständigkeit und eröffnet einen Lebensmittelladen im Dorf.
Annabel ist als Münsteranerin eine “Zuagroaste”, die in die adelige Ärztefamilie von Thaler eingeheiratet hat. Als Hausfrau hat sie "lediglich" die Aufgabe, auf ihren Sohn im Kleinkindalter aufzupassen. Ihr Mann, Chefarzt der Starnberger Seeklinik für Frauen, ist beruflich sehr eingespannt und vernachlässigt sie zusehends.
Helga ist die Industriellentochter “aus gutem Hause” in München. Als sie durch das Abitur rasselt, beginnt sie eine Ausbildung zur Krankenschwester an der Seeklinik. Sie ist diejenige der drei Frauen, die ungezwungene amouröse Abenteuer sucht. Ihre Begegnung mit einem amerikanischen GI verändert ihr Leben nachhaltig.
Marie wuchs auf einem Gutshof in Schlesien auf. Auf der Flucht erlebt sie Traumatisches und die Bundesrepublik empfängt die Vertriebene auch nicht gerade mit offenen Armen. Auf dem Hof von Luises Bruder Martin, der mit seinem behinderten Bruder Manni zusammenlebt, findet sie temporär ein neues Zuhause.
Die Schicksale der vier Frauen, die sich zu Beginn des Romans noch nicht kannten, greifen nach und nach ineinander. Die zunehmende Verzahnung der Geschichten ist erzähltechnisch sehr gut gemacht worden. Man fiebert mit jeder der vier Frauen mit, auch wenn zunächst nicht alle gleichermaßen sympathisch sind.
Auch sprachlich hat mir dieser Roman sehr gut gefallen. Der Humor kommt nicht zu kurz, dort wo er passt. Auch hier schafft Stephanie Schuster es, Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit gleichermaßen zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Erzählweise ist sehr angenehm und der Einsatz des oberbayerischen Dialekts ist auf den Punkt - gerade so viel, um das Lokalkolorit einzufangen. Die fiktiven Notiz- und Rezeptbuch-Einträge verleihen dem Buch zusätzlich eine gewisse Authentizität.
Fazit: Eine richtig unterhaltsame, überaus lesenswerte und sehr interessante Zeitreise in die 1950er Jahre! Ich bin gespannt, wie es mit den Wunderfrauen Luise, Annabel, Helga und Marie in den 1960ern weitergeht.