Rezension

Für mich hätte es etwas spannender sein dürfen

Retrum - Francesc Miralles

Retrum
von Francesc Miralles

Bewertet mit 3 Sternen

Christians Zwillingsbruder Julián ist bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Dass Christian diesen Unfall verschuldet hat, belastet den Jungen stark. Die Familie bricht auseinander und Christian zieht sich immer weiter zurück. Er wird zum Außenseiter, für den die Trauer um den Bruder und die damit verbundenen Selbstvorwürfe allgegenwärtig sind. Seine Gedanken kreisen oft darum, dass es besser wäre, wenn er selbst nicht mehr leben würde oder gleich an Stelle seines Bruders gestorben wäre. Christian kapselt sich ab und verbietet sich alles, was auch nur im Entferntesten mit Spaß und Freude in Verbindung gebracht werden kann.

Als er auf dem örtlichen Friedhof umherstreift, trifft er auf drei dunkel gekleidete Gestalten, die durch ihre blass geschminkten Gesichter sofort seine Aufmerksamkeit wecken. Alexia, Lorena und Robert übernachten oft auf Friedhöfen, um mit den Verstorbenen in Kontakt zu treten. Sie nennen sich "Retrum" und faszinieren Christian mit ihren Erzählungen. Besonders angetan hat es ihm die schöne und rätselhafte Alexia. Christian sucht die Nähe von "Retrum". Ein gefährliches Spiel mit dem Tod beginnt....

Durch den schwarzen Buchschnitt und das dunkle Coverbild macht das Buch einen sehr düsteren Eindruck. Auch im Innern setzt sich dieser Eindruck fort, denn es wirkt so, als wäre die Farbe des schwarzen Buchschnitts verschmiert, da sich an den Rändern der einzelnen Seiten schwarze Farbreste befinden. Die Erzählung ist in fünf Hauptteile gegliedert, die nochmals in einzelne Kapitel unterteilt sind. Am Anfang der Hautpteile befindet sich eine schwarze Zeichnung, die den düsteren Eindruck des Buchs noch verstärkt. Die einzelnen Kapitel tragen Überschriften und meist findet man dort noch zum Abschnitt passende Zitate. Der Jugenthriller ist also ziemlich aufwendig gestaltet. Diese Gestaltung liefert den perfekten Hintergrund für die düstere Geschichte, die der Hauptprotagonist Christian zu erzählen hat.

Christian schildert das Geschehen in der Ich-Form, sodass man quasi in seine Haut schlüpft. Man kann dabei seine Schuldgefühle und die Trauer um den verstorbenen Zwillingsbruder hautnah nachempfinden. Es gelingt dem Autor hervorragend eine schwermütige und düstere Atmosphäre zu erschaffen und diese glaubhaft zu vermitteln. Das passt zwar sehr gut zur Erzählung, doch der Einstieg in die Handlung fällt dadurch nicht ganz leicht, da man einen Moment braucht, um sich an die düstere Grundstimmung zu gewöhnen. Danach fällt es allerdings schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Der Schreibstil ist sehr flüssig und angenehm lesbar und die kurzen Kapitel verführen zum Weiterlesen.

Gemeinsam mit Christian lernt man Alexia, Lorena und Robert kennen und lässt sich in die Geheimnisse und Besonderheiten von "Retrum" einführen. Die drei Charaktere wirken allerdings nicht greifbar. Sie bleiben auf Distanz und es fällt schwer, sich mit ihnen und ihrer Art zu identifizieren. Das mag aber vielleicht Lesern der jugendlichen Zielgruppe ganz anders ergehen. Den Gegenpart zu diesem düsteren Trio bildet Christians Mitschülerin Alba. Im direkten Vergleich wirkt Alba geradezu wohltuend sonnig und normal. Sie schwärmt schon lange für Christian, ahnt allerdings nicht, dass der sich in die rätselhafte Alexia verliebt hat. Neben all den düsteren Aspekten des Romans, kommt also auch die Liebe nicht zu kurz. Dennoch braucht man keine hochromantischen Verwicklungen zu befürchten. Man bekommt zwar einen Eindruck von dem Zwiespalt, in dem Christian steckt, da er beide Mädchen mag, doch zu einem schwülstigen Liebesroman verwandelt sich die Geschichte nicht. Deshalb dürfte sie sicher männliche und weibliche Leser gleichermaßen ansprechen.

Zu Beginn der Handlung sucht man die Spannung leider vergeblich. Die Erzählung plätschert eher gemächlich vor sich hin. Ab dem zweiten Drittel ändert sich dieser Eindruck dann komplett. Die Handlung nimmt deutlich an Fahrt auf und man kann sich nicht mehr sicher sein, wer welches Ziel verfolgt und wem man in diesem Buch vertrauen kann. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint und nebelige Friedhofsszenen sorgen für Gänsehautfeeling. Am relativ abrupten Ende ergeben die verschiedenen Handlungsfäden ein Muster, das man kaum erahnen kann. Einige Fragen bleiben offen, es bleibt abzuwarten, ob sie in einer Fortsetzung beantwortet werden.

Insgesamt gesehen habe ich mich beim Lesen dieses Jugendbuchs gut unterhalten. Leider nicht mehr - aber auch nicht weniger. Es kam durchaus zu spannenden Szenen, doch für meinen Geschmack kamen diese deutlich zu kurz. Das Ende konnte mich leider auch nicht ganz überzeugen, da es sehr abrupt und schnell kam und auf mich außerdem nicht besonders glaubwürdig wirkte. Die düstere und unheimliche Atmosphäre fand ich allerdings sehr gelungen und die Aufmachung des Buchs einfach perfekt.