Rezension

Gedanken über ein Leben

Eine kurze Geschichte vom Fallen - Was ich beim Sterben über das Leben lernte - Joe Hammond

Eine kurze Geschichte vom Fallen - Was ich beim Sterben über das Leben lernte
von Joe Hammond

Bewertet mit 4 Sternen

Die Leseprobe von diesem Buch hatte mich angesprochen, weil Joe Hammond im ersten Kapitel so sachlich, interessiert über seine Krankheit schreibt. Ich weiß nicht sicher, was ich mir, davon abgesehen, von dem Buch erwartet habe, aber im weiteren Lesen hat mich Hammond zwischendurch verloren. Er schreibt anfangs von den ersten Stürzen, von der Diagnose Motoneuron-Krankheit und wie er und seine Familie damit umgegangen sind. Das fand ich interessant und gut zu lesen. Danach wird das Buch aber assoziativer: Hammond schreibt über kurze Momente aus seiner Kindheit, von den getrennten Eltern, von Erinnerungen, dann über die Zeit als Erwachsener, erst ohne, später mit Gill, seiner Frau. Die Auswahl dessen, was er schreibt, wurde mir nicht klar, ergab für mich keine Erzählung. Die Erinnerungen schwammen für mich, überhaupt wird in dem Buch nur wenig zeitlich genau eingeordnet; ich hatte Schwierigkeiten beim Lesen dranzubleiben. Zum Ende des Buches geht es dann wieder um die Gegenwart, die Krankheit, den körperlichen Abbau. Und darum, warum er dieses Buch geschrieben hat: Vor allem, um seinen Söhnen etwas zu hinterlassen, ein Zeichen seiner Liebe, ein Zeichen dafür, dass er da war und für sie dableiben wird, dass er zwar immer weniger wird, auch schon im Leben, aber nie ganz weg sein wird. Die Frage, ob das alles auch für den Rest der Welt als veröffentlichtes Buch bedeutsam ist, darf ruhig gestellt werden. Und nachdem ich sie im Mittelteil nicht sicher hätte beantworten können, würde ich nun sagen: doch. Das Buch hat schon seine Berechtigung und Bedeutung. Am Ende des Buchs ergaben auch die Erinnerungsfetzen in der Mitte für mich mehr Sinn.

Was ich für mich aus der Lektüre mitnehme: Das Leben ist endlich, man sollte es genießen, vor allem die kleinen Momente, die schön sind. Es ist nicht verkehrt, im eigenen Leben auszumisten und sich auch von Menschen zu trennen, die einem nicht gut tun. Schön ist, dass Hammond das nicht als Vorschlag unterbreitet oder als Lebenshilfe anbietet, sondern nur beschreibt, wie das mit ihm und den Menschen so war und er impliziert, dass es vielleicht auch gar nicht möglich ist, im Leben aufzuräumen, wenn nicht der Tod so unmittelbar zu sehen ist. Im Angesicht des Todes trennen sich die Angehörigen in zwei Gruppen: die, die hinsehen können, aushalten, und die, die "Kisten voll mit ihren eigenen abgepackten Bedürfnissen" mitbringen und schnell wieder gehen. Und Hammond gibt zu, nicht zu wissen, in welcher Gruppe er gewesen wäre, ob er in der Lage gewesen wäre, bei sterbenden Freunden auszuhalten.
Gefallen hat mir der Gedanke, dass aus größerer Entfernung gesehen, "mein Leben [...] auch nicht kürzer ist als ihr eigenes", weil "das Leben kurz ist". Punkt. Für mich ergab sich daraus der (jetzt ein bisschen banal klingende) Gedanke, dass eben jedes Leben ein Leben lang dauert.

Joe Hammond hat das Erscheinen seines Buches noch erlebt, daran hatte er selbst nicht geglaubt. In Großbritannien war er dadurch bekannt geworden, dass er für seine beiden Söhne für die nächsten Geburtstage Karten geschrieben hat, 33 insgesamt, und der Guardian darüber berichtete. Für den Guardian hat er auch noch einen Artikel verfasst, veröffentlich erst nach seinem Tod, der für mich eigentlich auch noch ins Buch gehört, weil er es im wahrsten Sinne zu Ende bringt. Schließlich beinahe völlig gelähmt, verabschiedet er sich langsam immer weiter aus dem Leben und von seiner Familie. Er scheint seinen Frieden damit gemacht zu haben. Ich hoffe, dass es Tom und Jimmy, den beiden Söhnen, auch gelingt.