Rezension

Gegen das Vergessen

Von ganz, ganz unten -

Von ganz, ganz unten
von Ivar Buterfas-Frankenthal

Bewertet mit 4 Sternen

„...Mein Vater war der jüdische Teil der Familie. Er stammte aus einer vermögenden Familie, die in Dresden lebte. Sie besaßen eine bekannte und große Zigarettenfabrik. Er war das sogenannte schwarze Schaf der Familie...“

 

Der Autor selbst wurde 1933 geboren. Er erzählt im Buch seine Lebensgeschichte, ungeschminkt und sehr detailliert. Ausgespart bleiben allerdings die Kriegsjahre. Der Schriftstil ist vorwiegend sachlich.

Da die Mutter sich weigert, sich scheiden zu lassen, wird die Familie in ein baufälliges Haus eingewiesen. Der Vater gehört zu den sogenannten Moorsoldaten. Ivar hat sieben Geschwister. Mit sechs Jahren wird er als Halbjude der Schule verwiesen.

 

„...Hör zu, Du kleiner Judenbengel, Du nimmst sofort Deine Sachen aus der Klasse und machst Dich auf den schnellsten Weg nach hause! Du brauchst morgen auch nicht wiederzukommen...“

 

Dieses Erlebnis hat ihn für sein zukünftiges Leben geprägt. Gegen Ende des Buches wird er deshalb noch einmal darauf zurückkommen.

Nach dem Krieg hätten er und seine Geschwister die Möglichkeit gehabt, in die USA auszuwandern. Für die Mutter als Deutsche gab es aber kein Visum. Außerdem hatte sich der Vater kurz nach seiner Rückkehr von der Familie abgewandt. Die Kinder entschlossen sich, im Lande zu bleiben und der Mutter das zurückzugeben, was sie in den vergangenen Jahren für sie getan hatte.

Der Titel des Buches ist Programm. Von ganz unten kommend steigt der Autor nach und nach auf der Leiter des Erfolgs nach oben. Natürlich gibt es Rückschläge.

Was das Buch aber zu etwas Besonderen macht, ist der Einblick in das Nachkriegsdeutschland. Ivar gilt als staatenlos, obwohl seine Mutter Deutsche ist und er in Deutschland geboren wurde. In den Ämtern steht er zum Teil den gleichen Leuten gegenüber wie in der Nazizeit. Erst 1964 erhält er die deutsche Staatsangehörigkeit. Das bedeutet, dass er keine Lehre machen kann und auf Hilfsarbeiten angewiesen ist. Doch er findet immer wieder Menschen, die ihm eine Chance geben, so zum Beispiel die Familie Karp.

 

„...Du kannst bei uns bleiben und mit uns arbeiten, wir sorgen für ordnungsgemäße Papiere, wir tragen Dich auf unseren Umsatzsteuerheften ein, und Du wirst am Gewinn beteiligt und kannst bei uns Wohnen...“

 

Mit seiner Frau Dagmar, die er entgegen des Willens ihres Vaters heiratet, geht er durch dick und dünn. Sie ist nicht nur Ehefrau und Mutter, sondern selbst auch Geschäftsfrau.Er weiß sich von ihr auch in schwierigen Situationen unterstützt. Und die gibt es mehr als genug. Als er sich für den Erhalt des Turmes von St. Nikolai einsetzt, steht er mehr und mehr in der Öffentlichkeit. Das bringt eine Menge an Neidern auf den Plan. Außerdem erlebt er immer wieder antisemitische Anfeindungen.

Verscheiden Fotos von der Familie und von Dokumenten ergänzen das Buch. Ein Vorwort des Ersten Bürgermeisters von Hamburg führt in die Geschichte ein.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Der Autor belegt, dass Antisemitismus kein Phänomen der Neuzeit ist, sondern unterschwellig nie verschwunden war. Gleichzeitig ist er ein Mahner vor dem Vergessen.