Rezension

Gekonntes Spiel mit der Realität

Das himmlische Kind - Heinrich Steinfest

Das himmlische Kind
von Heinrich Steinfest

Bewertet mit 4 Sternen

Die Eltern haben sich getrennt, die Mutter ist schwer depressiv und versucht mit ihren beiden Kindern, der 12-jährigen Miriam und dem 5-jährigen Elias, einen erweiterten Selbstmord: Sie fährt mit ihnen los und lenkt ihr Auto in einen See. Doch Miriam war misstrauisch, hat das mitgenommene (mit einem Schlafmittel versetzte) Getränk nicht zu sich genommen und auch dafür gesorgt, dass ihr Bruder wenig trinkt. Sie kann sich und Elias aus dem versinkenden Auto befreien, die Mutter ertrinkt.

Prägend für den Roman ist aber weniger die tragische Geschichte als die Gedanken Miriams und die Art, wie sie für sich und ihren kleinen Bruder sorgt. In der Nähe des einsam gelegenen Sees findet sie im Wald eine Hütte, wo die Kinder Unterschlupf finden. Sie sorgt für Wärme (der Winter ist angebrochen) und Essen. Sie erzählt dem schwer fiebrigen Elias eine Geschichte – und vielleicht hält ihn diese sogar am Leben: »Weil es einfach so ist, daß man nicht sterben kann, wenn man wissen will, wie es weitergeht. Und wie es ausgeht.« (S. 283)

Auf verschiedene Weise wird in diesem Roman mit der Realität gespielt: Zum einen schildert Steinfest, wie Miriam die Welt sieht, und stellt das immer wieder der Sicht Erwachsener, etwa der ihres »vernünftigen« Vaters, gegenüber; es gibt Spielzeuge, die reale Zuwendung brauchen; dann ist da die phantastische, irreale Geschichte, die Miriam ihrem Bruder erzählt, der bei verschiedenen Szenen immer wieder fragt, ob sie das nicht erfunden hätte, obwohl er natürlich weiß, dass alles erfunden ist (es gibt also mehr Erfundenes und weniger Erfundenes? Je nachdem, wie plausibel es uns erscheint?); dem steht die »Realität« der Handlung dieses Buches gegenüber (das der Autor ja für seine Leser erfunden hat); in dieser Realität geschieht auch das eine oder andere, das der Figur Miriam ziemlich irreal vorkommt, obwohl sie es erlebt hat; gegen Ende des Buchs wirft Steinfest einen Blick in die Zukunft der Figuren, und man kann überlegen, inwieweit diese in der »Gegenwart« des Erzählten angelegt ist (Ausweiten des Spiels mit der Realität in die Zukunft); dann erkennt Miriam die Parallelen zwischen ihrer »Realität« und einem Märchen der Brüder Grimm; und schließlich ist da Steinfests Erzählstil, der immer wieder eine Distanz zum Geschehen des Romans schafft und darüber reflektiert.

Das Buch ist höchst lesenswert, wenn auch nicht so flüssig zu lesen wie »Der Allesforscher« oder »Gewitter über Pluto« vom selben Autor. Hans Steinfest ist ein Autor, der mit seinem unerschöpflichen Ideenreichtum und seinem Sprachwitz eine Sonderstellung in der heutigen Literatur einnimmt.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 19. September 2014 um 21:39

Dieses Buch hätte einen Hauch mehr Chancen bei mir. Aber auch nur einen Hauch, die verschiedenen Realitätsebenen klingen fffffurchtbar anstrengend.

Steve Kaminski kommentierte am 20. September 2014 um 10:36

Es ist etwas steif geschrieben, in manchen Passagen - Plutos Liebe und vor allem Der Allesforscher lesen sich besser.

Ansonsten sind Seethaler und Steinfest natürlich immer gut - und Du wirst Dir in 60 oder 70 Jahren Vorwürfe machen, sie nicht gelesen zu haben!

wandagreen kommentierte am 23. September 2014 um 23:06

Ach, ich lese sie noch. Zumindest den Seethaler. Sein neuestes Buch scheint was für mich zu sein.

Steve Kaminski kommentierte am 24. September 2014 um 09:23

Was hier drunter steht, sollte sich auf Deinen Kommentar beziehen...

Steve Kaminski kommentierte am 24. September 2014 um 09:22

Ja, es ist schön geschrieben! - "Plutos Liebe" heißt übrigens in Wirklichkeit "Gewitter über Pluto".

FIRIEL kommentierte am 21. Februar 2015 um 19:36

Hoppla - wieder ein Buch, das wir beide gelesen haben... Für mich allerdings das erste von Steinfest. Danke für deine Rezension, Thomas!

Steve Kaminski kommentierte am 21. Februar 2015 um 21:11

Gerne - Deine Rezenson gefällt mir auch! - Den "Allesforscher" von Steinfest finde ich noch besser - eins meiner absoluten Lieblingsbücher.